Diagonale 09: Kleine Fische

Kleine Fische Sabrina Reiter Michael Steinocher

Es ist in Österreich nicht anders als in der Schweiz: Wenn sich der Film feiert, sind auch die zugewandten Orte dabei, die Politiker, die Seiten-, Neben- und die Rundum-Künstler. Zur Eröffnung der 12. Diagonale in Graz (der ersten unter der neuen Leitung von Barbara Pichler) war die List-Halle hinter den sieben Geleisen wieder dicht gefüllt mit tout Graz und halb Wien. Schliesslich ist der österreichische Film wieder wer, die Ausländer habens schon gemerkt, und allmählich fällt es auch den Österreichern auf, spottete Josef Hader, der zur Eröffnung den Schauspielerpreis der Diagonale bekommen hat – für alle seine Rollen, nicht nur für den Knochenmann. Für ihre Rolle im Knochenmann hat den Preis aber Birgit Minichmayr gekriegt (und ihn eben so kurz und herzlich dankend entgegen genommen wie letzten Monat ihren Berlinale-Bären).

So richtig eröffnet wurde das diesjährige Festival des österreichischen Films dann aber mit Kleine Fische, dem charmanten Spielfilmdebut von Marco Antoniazzi. Der Film spielt in einem Wiener Quartier, in einem kleinen Fischladen. Gleich zu Beginn stirbt der Ladeninhaber, seine beiden unterschiedlichen Söhne versuchen zusammen mit der Mutter das Geschäft am laufen zu halten. Der jüngere ernsthaft und mit einem gewissen Groll gegen den älteren, der als 13jähriger die Familie verlassen hatte und jetzt eigentlich nur gekommen ist, um allenfalls etwas zu erben.

Eigentlich erstaunlich, dass es nicht mehr solcher Filme gibt. Der sterbende Quartierladen, die ungleichen Brüder, die nicht ausgestandene Familiengeschichte: Das alles liefert Stoff für ‚Geschichten über Menschen‘, wie sie Josef Hader zu Beginn des Abend mit einem Truffaut-Wort gefordert hatte. Fatih Akin hat so eine Geschichte umgesetzt mit Solino, aber sonst fällt mir kaum ein Film aus jüngerer Zeit ein, dafür bezeichnenderweise Kurt Frühs Bäckerei Zürrer von 1957.

Das Familiengeschäft ist genau so ein Auslaufmodell wie die Familienwerte, die schon im Fall der Bäckerei Zürrer nicht nur argen Zerreissproben unterworfen waren, sondern auch einer doppeldeutigen Rhetorik. Es sind dies denn auch die stärksten Szenen in Kleine Fische, jene nämlich, in denen die Brüder sich gegenseitig oder einer von ihnen der Mutter frühere Fassadentricksereien vorwerfen, der Sohn der Mutter, dass sie sich nicht hat scheiden lassen vom ungeliebten Vater, dass sie gar zuliess, das dieser den Sohn als Alibi mit seiner Geliebten mit in die Ferien nahm. Was die Mutter so resigniert wie resolut damit kontert, dass sie ihrem Sohn die Deckung weg bläst, seine kleinen Hochstapeleien entlarvt.

Die Schauspieler sind wunderbar, allen voran Brigitte Kren, die Darstellerin der Mutter, aber auch Michael Steinocher und Sabrina Reiter, die gecastet wurden, bevor sie durch In drei Tagen bist Du tot bekannte Gesichter geworden waren.

Der Film von Marco Antoniazzi ist deutlich spürbar ein Gemeinschaftswerk, ‚ein Werkstattprojekt mit kollektiver Anstrengung‘ nennt es der Regisseur in einem Interview. Man merkt das auch daran, dass einige wenige Szenen eher der Dramaturgie verpflichtet sind als der Psychologie des Momentes. Die brüderliche Rivalität um eine liebenswerte Studentin zum Beispiel, oder ein kurzes Zusammentreffen der Studenten mit dem jungen Fischhändler bei einem Boules-Spiel.

Aber Kleine Fische ist ein stimmiger Film, weil es Antoniazzi und seinen Schauspielern gelungen ist, das Gefühl einer langen Familiengeschichte zum Leben zu erwecken. Man spürt in jedem Moment zwischen den Brüdern und ihrer Mutter die gemeinsamen Erinnerungen in all ihren Schattierungen und Verfärbungen. Das gibt der Geschichte ihre emotionale Tiefe selbst dort, wo der Plot sich eher einer These entlang schiebt. Und selbst dafür liefert der Film noch ein grossartiges Bild, im einzigen Witz, den der gleich zu Beginn sterbende Vater zuvor noch zum Besten zu geben versuchte – allerdings ohne Pointe, die liefert viel später der Sohn: Was ist der Vorteil eines halben Hähnchens? Es kann dichter an der Wand entlang gehen…

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