Cannes 09: The Time that Remains

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Der israelische Palästinenser Elia Suleiman ist noch in bester Erinnerung für seinen Cannes-Beitrag von 2002: Divine Intervention. Der urkomische, lakonisch-poetische Stil, mit dem er damals die Absurditäten im täglichen Leben im nahen Osten ins Auge fasste, hat den Film zu einer dauerhaften Erinnerung gemacht. Und Suleimans neuer, der heute hier in Cannes im Wettbewerb gezeigt wurde, führt den eigenwilligen Stil weiter in die Vergangenheit. Suleiman erzählt aus der eigenen Familiengeschichte und seiner Kindheit und Jugend in Nazareth. Zunächst aber von 1948, dem Gründungsjahr Israels, der Eroberung oder Befreiung Nazareths, je nach Perspektive, und von seinem Vater, einem Widerstandskämpfer.

Die meisten Szenen des Films zeigen diese lakonische Tragikomik zwischen Buster Keaton und Jacques Tati, welche Suleiman zu seinem Markenzeichen gemacht hat. Auch seine eigene Figur, der Mann mit dem fast reglosen Gesicht, der nie ein Wort sagt und immer ganz lange irgendwo hin guckt, bevor uns die Kamera verrät, was er sieht, ist uns bereits so bekannt, dass wir ihn auch als kleinen Jungen oder als Halbwüchsigen auf den ersten Blick erkennen. Zu den familiären Alltagssituationen gesellen sich wieder Suleimans unglaublich starken, grotesken Momentaufnahmen. Etwa eine Szene, in der sich die israelische Armee und eine Gruppe palästinensischer Demonstranten eine Strassenschlacht vor Suleimans Haus liefern. Plötzlich hört das Schiessen, Schreien und Steinewerfen auf. Leise quietschend wird von einer Frau ein Kinderwagen zwischen den Fronten hindurch geschoben. „Geh nach Hause!“ rufen die Soldaten. „Ich? Geht ihr doch nach Hause“, sagt die Frau ganz ruhig, und schiebt ab.

Noch verrückter und absolut unvergesslich die Szene, in der Elia ein Rasseln und Quietschen auf der Strasse hört, hinausgeht und sich erschreckt hinter der Gartenmauer versteckt: Auf der Strasse steht ein riesiger Panzer, das Kanonenrohr genau auf seinen Kopf gerichtet, bzw. in die Kamera. Da geht auf der anderen Strassenseite das Gartentor auf, ein Mann kommt heraus, das Rohr schwenkt auf ihn zu und folgt ihm unaufhaltsam auf seinem Weg über die Strasse. Und während der Mann selbstvergessen telefonierend hin und her geht, schwenkt das Panzermonstrum sein Rohr immer seinem Kopf nach. Stärker und absurder kann man den Alltag unter permanenter militärischer Überwachung gar nicht darstellen. Suleiman ist mit The Time that remains noch einmal das Kunststück gelungen, einen privaten Film so universell zu gestalten, dass seine politische Komponente unübersehbar wird – ohne das er eine Agenda erfüllen müsste.

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