Locarno 09: ‚Wakaranai‘ von Masahiro Kobayashi

Yuto Kobayashi in Wakaranai Street

Vom Sieger des vorletztjährigen Goldenen Leoparden von Locarno kommt dieser ebenso strenge, aber längst nicht so herausfordernde Film über einen Jungen, der völlig aus der Bahn geworfen wurde. Seine Mutter liegt sterbend im Spital, der Vater ist längst auf und davon, und er lebt ohne Wasser, Strom und Gas, weil er kein Geld mehr hat, irgendetwas zu bezahlen. Sein kleiner Verdienst als Supermarktkassier geht für die Spitalrechnungen drauf, und als er seinen Job wegen Mundraub (er verrechnet heimlich sein eigenes Essen einzelnen unaufmerksamen Kunden) verliert, bleibt ihm nur noch die Verzweiflung.

Masahiro Kobayashi bleibt grundsätzlich bei der Figur des Jungen. Oft sieht man ihn von hinten, mit hängenden Armen und Schultern gehend, rennend. Fast noch öfter sieht man ihn gierig ein paar Nudeln oder einen Keks verschlingend – was besonders paradox wirkt, weil er ja offensichtlich Hunger leidet. Einen Hungernden beim schnellen Herunterwürgen von Esswaren zu zeigen, ist ganz schön penetrant. Wie auch sonst diesmal die symbolischen Einstellungen und Gesten hervortreten. Der Junge liegt in einem kleinen Boot am Meeresufer, das er neu bemalt hat, wie in einem Sarg auf dem Rücken, faltet die Hände mit einem Foto von seinen Eltern vor der Brust. Und später wird er im gleichen Boot seine Mutter zur letzten Ruhe aufs Meer hinausstossen, nachdem er die Leiche im Spital gestohlen hat – weil er das Geld für ein Begräbnis nicht aufbringen kann.

Wakaranai ist einer dieser erbarmungslosen Filme, wie man sie fast nur an Festivals zu sehen bekommt. Er ist formal konsequent, inhaltlich eindimensional (oder direkt) und emotional verstörend bis an den Punkt, wo man sich dem Elend verschliessen möchte. Wenn man den direkten Vergleich wagt mit Hirokazu Kore-Edas grossartigem Dare mo shiranai, der mehrere Kinder einer Familie zeigt, die ihr Leben nach dem Verschwinden der Mutter zu organisieren versuchen, dann fällt Kobayashis Film deutlich ab. Das hat mit der störrischen Konzentration auf den einzelnen Jungen zu tun, mit Kobayashis Truffaut-Obsession, und damit, dass er bis zum überraschenden Schluss keine verständnisvollen Erwachsenen ins Bild bringt, bloss ein gnadenloses System, dessen Desinteresse für seine Gefühle der Junge schliesslich auch ganz wörtlich beklagt, einem unsichtbaren Polizisten gegenüber.

Dieser Film ist weniger herausfordernd als der goldene Leopard von 2007,   Ai no yokan und vielleicht verliert er einen auch darum auf dem Weg zu seinem deutlich dichteren letzten Viertel.

Pardofell

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