‚Still Walking – ‚Aruitemo, aruitemo‘ von Hirokazu Kore Eda

Still Walking Hirokazu Kore Eda Paar trigon

Das Familienwochenende mit Grosseltern, Eltern und Enkeln hat eine eigene Kino-Tradition. Der Dogma-Film Festen des Dänen Thomas Winterberg oder Home For The Holidays von Jodie Foster brachten so die Generationen zusammen. Wenn mein japanischer  Lieblingsregisseur Hirokazu Kore-Eda ein Familienwochenende inszeniert, gehen einem noch einmal ganz neu die Augen auf. Still Walking heisst Kore-Edas neuer Film. Er beginnt damit, dass die verheirateten Kinder mit den Enkeln die Grosseltern besuchen. Ein alter Mann dominiert diese japanische Familie, der Patriarch, ein pensionierter Hausarzt. Seine Frau hat sich gefreut auf das alljährliche Familientreffen; der eine Sohn, der mit seiner neuen Frau und ihrem Kind aus ihrer ersten Ehe kommt, ist nervös, die Tochter mit ihrem hemdsärmeligen Mann und der fröhlichen Enkelin möchte sich mit ihrer Familie im Elternhaus einnisten. Der alte Arzt bleibt distanziert, schroff, unnahbar. Mit unglaublich präzisen, einfachen Szenen führ Hirokazu Kore-Eda die einzelnen Familienmitgliedert ein. Wenn die Tochter in der Küche zur Mutter sagt, sie solle doch den Vater schnell zum Einkaufen schicken, genügt ein Blick der alten Frau, um klar zu machen, dass dieser Faux-pas nicht in Frage kommt. Wenn der Alte auf seinem kurzen Spaziergang mit dem Stock eine lange Treppe nach leichtem Zögern trotzig in Angriff nimmt, formt sich ein Bild dieses Menschen, das nur mit vielen Worten nach zu zeichnen wäre.
Natürlich stellt sich auch im Verlauf dieses Films heraus, dass die Familie eine Tragödie zu verarbeiten hat, den Tod des ältesten Sohns, auf dem die Hoffnungen des Vaters auf einen Praxis-Nachfolger geruht hatten. Aber anders als in amerikanischen oder europäischen Familientreffen-Filmen ist es nicht die belastete Vergangenheit, welche Spannungen erklärt oder suggeriert, sondern die direkte Interaktion der Figuren. Kleine Gesten, Begegnungen, Erinnerungen, welche sich ganz natürlich ergeben. Es passiert fast nichts in Still Walking, aber als Zuschauer bin ich vom ersten Moment an unter Hochspannung, ich kenne diese Figuren, sie sind mir so vertraut, dass es manchmal fast schmerzt.

Hirokazu Kore Eda hat sich in seinen Filmen schon früher mit der Familie beschäftig, in Nobody knows mussten vier Kinder sich nach dem Tod der Mutter alleine in der Wohnung organisieren, bekannt wurde er aber vor allem mit Maboroshi No Hikari und After Life, zwei Filmen zum Tod und zur Erinnerung. Immer stehen bei ihm die Beziehungen zwischen den Menschen im Zentrum, ihre Verflechtungen über gemeinsame Erinnerungen und eine mögliche Zukunft.
Still Walking ist nun aber ein Film, der wie eine unumstösslich gültige Momentaufnahme aus dem Leben einer Familie wirkt, die vierundzwanzig Stunden des Beisammenseins erschliessen dem Publikum fast die ganze Familiengeschichte und viel von dem was kommen wird – ohne Anstrengung, ohne Rückblenden, ohne direkte Erzählung. Und die Leichtigkeit, die Fröhlichkeit auch, mit der das auf die Leinwand fällt, wirkt wie eine dieser japanischen Tuschezeichnungen, die scheinbar mühelos mit wenigen perfekten Pinselstrichen eine Welt aufs Papier werfen.

In Cannes war im Mai übrigens auch schon Kore-Edas jüngstes Meisterwerk zu sehen: Kuki Ningyo – Air Doll.

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