Diagonale 10: DIE KINDER VOM FRIEDRICHSHOF

Die Kinder vom Friedrichshof

Auch wenn einem bei diesem Film zuerst wieder das Gefühl beschleicht, die Österreicher seien beim Filmen darauf aus, immer neue Leichen aus dem Keller zu bergen, der jahrzehntelangen Ignoranz gegenüber allen Schrecken und Peinlichkeiten der Vergangenheit ein für allemal den Garaus zu machen: Dieser Film wurde von einer Deutschen gemacht. Und die Leiche ist längst aus dem Keller. Es handelt sich um den Künstler Otto Mühl, der als Chefideologe und Zentraldiktator einer aus der Hippie-Bewegung hervorgegangenen Kommune 1991 zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war. Und der Film ist von einer Wärme und einer Zurückhaltung, die einem das Herz zerreisst – dafür ist er formal leider mehr als brav. Es geht um die Kinder, die in dieser Kommune aufgewachsen sind, geprägt von einer strengen Ideologie, welche Zweierbeziehungen verbot, die Väter anonymisierte und die Kinder von den Müttern trennte. Wie diese Kinder heute auf ihre Kindheit und Jugend zurückblicken, das spürt Juliane Grossheim in ihrem Diplomfilm für die Kunsthochschule für Medien in Köln auf.

Zwei der heute etwa 25jährigen Frauen, ein junger Mann und der, wahrscheinlich, leibliche Sohn von Otto Mühl bemühen sich um einen fairen Blick, arbeiten sichtlich, hörbar, spürbar hart an ihrer belasteten Vergangenheit und helfen damit auch uns einen anderen Blick und vor allem ein generelles Verständnis für die sektenähnlichen Kommunenstrukturen zu entwickeln. Wenn eine der Frauen, die heute mit der Truppe von Jango Edwards auftritt, gegen Ende des Film erklärt, sie sei sehr hellhörig für Machtstrukturen in Gruppengefügen, dann glaubt man ihr das sofort. Und wenn die andere der jungen Frauen erklärt, dass sie manchmal Mühe habe, ihr Theaterstudium völlig als etwas eigenes zu begreifen, dann leuchtet auch dies ein, nachdem man die Archivfilme rund um den Kreativitäts- und Kinderkult der Kommune gesehen hat. Das ist ein Dokumentarfilm über junge Menschen, die gezwungen waren, sich mit ihrer Kindheit und ihrer Jugend radikaler auseinander zu setzen, als sich die meisten von uns das überhaupt vorstellen können. Und darin werden sie zu Pionieren für uns, das macht Die Kinder vom Friedrichshof so universal gültig, wie es nur wirklich kluge Dokumentarfilme sein können. Selbst dann, wenn sie, wie dieser hier, ihre Kraft vor allem ihren Protagonisten verdanken. Richtig hinsehen und zuhören steht am Anfang.

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