Diagonale 10: KOMA

'Koma' von Ludwig Wüst © Klemens Koscher

Niemand in Europa hat den cineastischen Selbsthass, den gnadenlosen Blick auf die menschliche Unzulänglichkeit weiter entwickelt als die Österreicher. Michael Hanekes strukturelle Gewalt, seine erfolgreiche Methode, sein Publikum zum ecce homo zu vergewaltigen, steht neben Ulrich Seidls dokumentarischer Methode. Ludwig Wüst stammt aus Bayern, er lebt aber seit vielen Jahren in Wien. Und Wüsts Spielfilm Koma schliesst nun sozusagen die Lücke zwischen Haneke und Seidl. Wie beim Diagonale-Eröffnungsfilm Der Kameramörder bildet ein Gewaltvideo den Reaktorkern.

Mit einem möglicherweise liebenden Paar auf eine Parkbank setzt der Film ein, dann folgen ersten Sekunden aus einem pixeligen, grauseligen Internet-Video, in dem ein Mann, ein Stück Holz präpariert, während eine Frau, im Badezimmerspiegel zu sehen, im Morgenmantel wartend eine Zigarette raucht. Noch ist unklar, was sich da abspielen wird, aber im Verlauf des Films ist immer mehr von dem Video zu sehen, zunächst auf dem Laptop zweier Teenager, später auf dem heimischen Bildschirm des einen von ihnen. Und lange Zeit gibt der Film überhaupt keine Richtungsangaben. Gezeigt wird Alltag, Taxifahrer Hans sollte seinen 50. Geburtstag feiern, seine Frau ist am Vorbereiten, empfängt Freunde und Familie, Hans bleibt dem Anlass allerdings fern. Wie sich all die Beiläufigkeiten zur Unerträglichkeit steigern, das erinnert an Haneke, wie Wüst den Alltag dokumentiert logischerweise an Seidl. Und dann wird doch noch etwas ganz Eigenes aus Koma. Das Crescendo der Einsamkeit und der Gewalt bekommt eine Coda, die überrascht, berührt und gleichzeitig, je nach Interpretation, noch eine Dimension des Schreckens mehr bereithält. Koma ist einer jener Filme, die nach dem Sehen nachbrausen, die Geduld verlangen, aber gleichzeitig mit der Ungeduld der Zuschauer arbeiten. Dass Ludwig Wüst mehr sein will und kann als ein Epigone, das macht der Film sehr deutlich.

Koma von Ludwig Wuest

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