Cannes 10: CHATROOM von Hideo Nakata

Chatroom Hideo Nakata 03

Seit seiner Uraufführung in London 2005 hat das Bühnendrama „Chatroom“ des Iren Enda Walsh ein Eigenleben entwickelt. Vor allem für junge Truppen und Nachwuchstheater war und ist das ein attraktives Stück. Auch am Theater Basel wurde das Stück mit jungen Darstellerinnen und Darstellern und gutem Erfolg inszeniert. Die Ausgangslage ist bestechend simpel und lässt viel Raum für inszenatorische Kniffe: Ein Gruppe Jugendlicher lernt sich online kennen, trifft sich immer wieder im gleichen Chatroom, und schliesslich laufen die üblichen Machtspielchen aus dem Ruder – zumal es so überaus leicht und verführerisch ist, sich eine wie auch immer geartete Online-Persönlichkeit zuzulegen. Was passiert nun, wenn der Japaner Hideo Nakata, der Schöpfer der Ringu-Trilogie, sich mit dem Stoff auseinandersetzt?

Zuerst einmal nicht viel. Nakata hat nach einem Drehbuch von Walsh inszeniert und dabei haben sich die beiden relativ nahe an der Vorlage bewegt. Allerdings lässt die filmische Inszenierung der online- und der offline-Welt der Phantasie des Publikums weniger Raum als jene im Theater und Nakata behandelt die Chatroom-Welt eher traditionell nach Art der Horrorfilme, etwa der ganzen Nightmare on Elm Street-Reihe. Die Chaträume befinden sich alle in einem prächtigen, aber heruntergekommenen Hotel, das an Barton Fink von den Coens erinnert. Sie sind bunt und fantasievoll eingerichtet, allerdings zum allergrössten Teil eher unheimlich. Die reale Welt dagegen ist die der Londoner Vorstädte, grau, trist und absichtlich entfärbt. Das geht so weit, dass man viel zu schnell versteht, warum diese Jugendlichen lieber chatten und ihre Einsamkeit vergessen, und darin liegt wohl auch die Schwachstelle des Filmes. Die Realität wird trist genug gezeichnet, aber die virtuelle Welt noch zusätzlich als ein Ort der Täuschung und der Gefahren.

Chatroom Hideo Nakata 01

Das ist legitim, jeder Thriller baut seine Welten, und Horrorfilme müssen sich entscheiden. Ein wenig befremdlich ist der absolut kulturpessimistische Ansatz allerdings trotzdem, denn wenn die Jugendlichen den Manipulator entlarven und sich bemühen, den Jungen, den er in den Suizid zu treiben versucht, zu retten, dann geschieht das letztlich doch wieder in der physischen Welt. Auch das ist genregerecht und inszenatorisch nachvollziehbar, reduziert aber das Stück auf eine relativ standardisierte Manipulationsgeschichte, ohne den Möglichkeiten mit dem virtuellen Raum zu spielen, wirklich gerecht zu werden.

Auf der Vermittlungsebene ist das wahrscheinlich nötig, denn während ein Chat-erfahrenes Publikum keine Probleme bekunden dürfte mit den Ebenenwechseln, wird ein etwas älteres Publikum noch immer genug damit zu tun haben online- und offline-Realität zu unterscheiden. Aber es ist schade, denn die filmischen Möglichkeiten zur Stückerweiterung nutzt Nakata damit so gut wie gar nicht. Wer mit Freddy Kruegers Messerhänden im Kino aufgewachsen ist, wer Matrix gesehen hat oder Kyoshi Kurosawas Kairo von 2001 (bei dem es ebenfalls um Intenet und Suizid geht), der dürfte leise enttäuscht sein von diesem Film. Nakata hat das Stück von Enda Walsh nicht weit über die Bühne hinaus inszeniert. Und als Live-Inszenierung im Theater geht einem das Drama nur schon darum näher, weil die physische Präsenz von Menschen auf der Bühne den Kontrast zum dargestellten Cyberspace zusätzlich erhöht. Chatroom hätte nach mehr filmischem Mut verlangt.

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