Cannes 10: UNTER DIR DIE STADT von Christoph Hochhäusler

Hunger Buehler Krebitz in Unter Dir die Stadt

Käme dieser Film aus England oder Frankreich, wäre er wahrscheinlich im Wettbewerb gelandet. Aber, wie ein geschätzter Kollege zu Recht angemerkt hat: So wie er aussieht, dermassen abstrakt, rigide, senkrecht und waagrecht, heisskalt und gläsern, kann er nur aus Deutschland kommen. Unter Dir die Stadt ist eine eine Liebe-lose amour fou-Geschichte, ein durchgezählter letzter Tango in Frankfurt, der erste und letzte Versuch einer Menschwerdung bei einem Top-Banker – je nach Interpretation und Standpunkt. Robert Hunger-Bühler spielt diesen Roland Cordes, dem die junge Frau eines jungen Mitarbeiters passiert. Oder der an ihr etwas ansteckt. Oder sie mit ihm. Hochhäuser, Glastürme, Businessmeetings auf höchster Ebene – das alles ist die Kulisse, die Bühne, der Hintergrund ohne Vordergrund. Denn was sich abspielt zwischen dem Banker und der Frau, das bleibt auch abstrakt, selbst dann, wenn es glasklar inszeniert zur Sache geht.

Der Film, so fremd und neu und gläsern er wirkt, kommt nicht aus dem Nichts. Es gab etliche Versuche in den letzten zwanzig Jahren, die Lebenswelt der Wirtschaft, jene Welt, welche unsere am Leben hält (oder ist es doch umgekehrt?) zu einer Lebenswelt für Filmfiguren zu machen. Und ich meine damit nicht die Wirtschaftsthriller und Krimis. Sondern Filme wie Christian Petzolds Yella mit Nina Hoss, Nachbeben von der Schweizerin Stina Werenfels, aber auch und vor allem dokumentarische Arbeiten wie Besprechung von Christof Landorf, und natürlich die Arbeiten von Harun Farocki, welche den Boden bestellt haben für diesen eigenwilligen Solitär (der notabene vieles von dem einlöst, was wir uns von Tom Tykwers The International vergeblich erhofft hatten).

Hochhäuslers Film ist formvollendet, unglaublich gleissend anzusehen, gläsern ohne zu splittern, und – eher überraschend – nicht ohne Humor. Wenn der Banker, bevor er entschlossen seinen sofortigen Rücktritt schreibt, ehrlich verblüfft seinen strategischen Chef fragt: „Was habt ihr eigentlich alle gegen Schweine?“ dann packt dieser Satz vieles von dem, was diesen Film speziell macht, in einen einzigen grossen Augenblick.

Unter Dir die Stadt hätte in den Wettbewerb gehört. Wenn da noch bessere Filme auftauchen, soll es uns recht sein.

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