Cannes 10: ROUTE IRISH von Ken Loach

Route Irish von Ken Loach

Eine reife Leistung von Ken Loach und Paul Laverty, ein Jahr nach Looking for Eric schon wieder einen Film in Cannes zu haben. Und da der Film am Tag vor Beginn des Festivals noch überraschend in den Wettbewerb aufgenommen wurde, war man entsprechend gespannt. Eine zweite Palme für den Regisseur von The Wind that Shakes the Barley? Immerhin klingt im Titel Route Irish wieder Irland an – aber es geht um globalere Themen, um private Söldner in Irak, um Sicherheitsfirmen, die für Regierungen den Krieg privatisiert haben. Konkret um zwei Jugendfreunde, die bei so einer Truppe gelandet sind. Der eine kommt zerfetzt im Sarg nach Hause, der andere, der schon früher ausgestiegen ist, glaubt nicht, dass sein Freund ’normalen‘ Umständen zum Opfer gefallen ist.

Der Film, den Laverty und Loach offensichtlich inner kürzester Zeit auf die Beine gestellt haben, ist brandaktuell, nachdem Anfang April der Skandal um die US-Helikopterbesatzung, die einen Reuters Journalisten zusammen mit Dutzenden von Zivilisten niedergemäht hatten via Video und Wikileaks an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Denn um ein solches Video dreht sich Route Irish, ein Mobilfon-Video von einer Szene in der die Söldner der privaten Firma ein Taxi mit zwei Kindern drin mit Kugeln durchsieben. Einer der Söldner, eben der eine der beiden Freunde, jener, der wenig später im Sarg nach Hause kommt, hat das Telefon behändigt und über eine Vertraute an seinen Freund in Liverpool übergeben lassen. Und der rekonstruiert nun die ganze Geschichte mit Hilfe der Freundin des Toten, via Skype mit Kollegen in Irak, einer Barfrau in Ibiza, via Telefon und Mobiltelefon … bis es einem im Kino fast schwindlig wird. Route Irish hat zwar jede Menge Action vor Ort in Bagdad, im Irak und in Liverpool. Aber im Kern umzingeln Laverty und Loach ihr Thema mit dem klassischen Dramatrick des Botenberichtes.

Das ist alles ziemlich spannend und beeindruckend in der ersten Phase der Exposition. Es bleibt leidlich spannend während sich die Puzzlestücke zusammenfügen. Aber der Film zerinnt auf dem Papier in dem Moment, da er sozusagen zur Payload vorstösst, zum moralisch dicken Ende. Wie so oft bei den Scripts von Laverty wird man das Gefühl nicht los, die dramatische Entwicklung folge einer didaktischen Vorgabe – auch wenn der Autor im Interview das Gegenteil behauptet und sagt, seine Geschichten würden sich sozusagen von selber ergeben, wenn er bloss dem moralischen Gewissen seiner Figuren gerecht werde.

Um hier zu erläutern, was genau die Papierkonstruktion von Route Irish ausmacht, muss ich allerdings einen Teil des Endes preisgeben. Wer das nicht möchte, liest einfach nach dem Foto nicht mehr weiter.

Route Irish von Ken Loach 02

Der moralische Haken des Films geht nämlich auf Kosten der Hauptfigur. Der treibt die Suche nach der Wahrheit zum Tod seines Freundes so weit, dass er einen ehemaligen Kollegen, den er im Verdacht hat, foltert – mittels ‚waterboarding‘, jener berüchtigten Methode, die während und nach dem Irak-Krieg öffentlich wurde. Die Methode wirkt, er bringt den Mann dazu, den Mord zu gestehen. Bloss, um danach feststellen zu müssen, dass das Geständnis nichts mit der Wahrheit zu tun hatte, dass man mit Folter allenfalls an Informationen kommen kann, ganz sicher aber nicht an die Wahrheit. Das ist nun leider nicht nur eine plakative Illustration einer einleuchtenden These, sondern zugleich auch eine moralische Sackgasse. Denn eine Figur, die foltert und schliesslich auch noch mordet, darf damit nicht durchkommen. Nicht für Hollywood, nicht nach dem alten Hayes-Code, und verblüffenderweise auch nicht bei Loach-Laverty – denn das wäre amoralisch oder zynisch. Oder realistisch. Aber nicht richtig. Loach hat immer versucht, seine Filme einfach und verständlich und publikumsfreundlich zu machen; im Prinzip ist jeder seiner Filme ein morality play. Aber vor allem im Kontext von Cannes, wo sich so viele Filme ganz klar nicht an ein breites Publikum richten, sondern an die bewusst cinephile Elite des (Kunst-) Kinos, wirkt der Schluss von Route Irish fast schon so hölzern wie die letzte Strophe eines Bänkelsängers mit der Moral von der Geschicht.

Paul Laverty (links) und Ken Loach bei den Dreharbeiten zu 'Route Irish'
Paul Laverty (links) und Ken Loach bei den Dreharbeiten zu 'Route Irish'

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