Locarno 10: WOMB von Benedek Fliegauf

Eva Green, Matt Smith in 'Womb'
Eva Green, Matt Smith in 'Womb'

Die erste Stunde dieses Filmes ist grossartig. In vielen perfekt komponierten Einstellungen stellt uns der Ungar Fliegauf die grosse frühe Liebe von Rebecca und Tommy vor. Sandkastenliebchen, oder eher: Sandstrandliebchen sind sie, bis Rebecca mit ihren Eltern nach Tokio ziehen muss. Was bleibt, ist Tommys stummes Versprechen, auf sie zu warten, so lange es nötig ist. Als junge Erwachsene (und Spezialistin für die Programmierung von Software für Rissdetektoren) kehrt Rebecca zurück, sucht und findet Tommy, bloss, um ihn gleich darauf in einem Unfall zu verlieren. Aber dieses Schicksal nimmt sie nicht hin. Sie lässt den Geliebten klonen und sich die befruchtete Eizelle zum Austragen einpflanzen. Nicht ganz neun Monate später bringt sie via Kaiserschnitt ihren Geliebten zur Welt, ein Kind, das sozusagen sein eigener Vater ist.

Fliegauf findet unzählige wunderbare, zurückhaltende Bilder, fixe Einstellungen, Wiederholungen und zeitversetzte Wiederholungen. Die grosse, starke Liebe zwischen Rebecca und Tommy wird vom Film unumstösslich etabliert, das wäre fast schon ein eigenständiges Werk.

Später kommt die Klon-Problematik fast beiläufig ins Spiel, wenn der kleine Tommy ein blondes kleines Mädchen nach Hause einladen möchte, sich aber bald herausstellt, dass man das nicht tut – denn das Mädchen ist eine Kopie, der Klon seiner eigenen Grossmutter. Und an Tommys Geburtstagsfest kommt auch niemand, weil die anderen Mütter erfahren haben, dass auch Tommy eine Kopie ist…

Bis zu diesem Punk erinnert der Film in seiner ruhigen, bestimmten und selbstverständlichen Art an den Klassiker des modernen Eugenetik-Kinos, Gattacca von Andrew Niccol aus dem Jahr 1997. Leider verliert er Selbstverständlichkeit und Ruhe, als Tommy zum jungen Erwachsenen geworden ist, wieder von Matt Smith gespielt wird und langsam einen unbestimmten Verdacht zu hegen beginnt. Dass die erotische Anziehung zwischen dem Original-Tommy und der schönen Rebeccca irgendwie genetisch fixiert worden ist, wirkt befremdlich. Dass Tommy angesichts seiner Grossmutter, die je genetisch gesehen seine Mutter ist, entsetzt fragen muss, wer diese Frau sei, er kenne sie doch – und bald darauf Rebecca gegenüber in verzweifelter Wut äussert, er wisse nun nicht mehr wer er selber sei, geschweige denn, wer sie sei – das ufert aus, hier beginnt das Drehbuch zu schlingern und die bezwingende Ruhe der ersten Filmhälfte ist dahin.

Womb ist auch so noch ein eindrücklicher Film, hätte Fliegauf aber die meisterliche Souveränität der ersten Hälfte durchhalten können, dann wäre das ein Juwel geworden.

Eva Green in 'Womb'
Eva Green in 'Womb'

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