Cannes 11: HANEZU NO TSUKI von Naomi Kawase

HANEZU NO TSUKI par Naomi KAWASE (1)

Für ihren Wettbewerbsbeitrag Der Wald des Abschieds hätte Naomi Kawase von mir schon 2007 die goldene Palme bekommen. Die ging dann an Cristian Mungiu, Kawase erhielt immerhin den Grossen Preis der Jury. Jetzt sind wir wieder so weit: Auch ihr jüngster Film ist für mich ein coup de coeur – und wieder wird sie es schwer haben. Nicht nur darum, weil das Festival ihren Film gleichzeitig programmiert hat wie Pater von Alain Cavalier (was fast schon wie vaterländische Sabotage aussieht, aber bestimmt einen anderen Grund hat). Sondern vor allem, weil Hanezu no tsuki im Prinzip das Gleiche versucht, wie Terrence Malick mit seinem Tree of Life. Eine poetische Annäherung an das menschliche Drama der Liebe seit Urbeginn der Welt. Aber wo Malick zu überwältigen sucht, singt Kawase ein leises Lied.

Seit Urbeginn der Erde haben Männer um Frauen gekämpft, seit zwei Berge sich um einen dritten bemüht hatten. Bloss kämpfen die Männer in Naomie Kawases Film nicht um die Frau. Dem einen, einem Holzschnitzer, wirft sie gar vor, alles, was er tue, sei warten. Und den anderen, den Publizisten, der gerne Koch wäre, betrügt sie.

HANEZU NO TSUKI par Naomi KAWASE (2)

Bei Naomi Kawase ist das alles leise, verhalten, hin und wieder stöhnt der Hauch eines Berggeistes, und Grillen in Grossaufnahme krabbeln laut kratzend über einen felsigen Sarkophag. Die Natur dominiert alles. Beim Schnitzer hat ein Schwalbenpaar sein Nest in der Deckenlampe gebaut und füttert darin seine Jungen, während der Publizist ein wenig Angst hat, die Frau könnte seinen Kanarienvogel im Käfig vernachlässigen, während er weg ist. Bloss ist der eine der andere und der andere der eine – und sie immer die gleiche. Und der Grossvater, der in den Krieg musste, die Grossmutter, die einen Mann heiraten musste, den sie nicht liebte – sie alle sind Teil der Geschichte, Teil des Films.

Wo Malick mit Gewalt und Überschwang arbeitet, mit Naturbildern, die überwältigen sollen, mit Schauspielern, die unter die Haut gehen müssen, mit Bildern, die kollektive Erinnerungen oder Wünsche abrufen, wie Cola- oder die Kredikartenwerbefilme, singt Naomi Kawase das Lied, das ihre früheren Filme schon gesungen haben. Leise, und unmissverständlich aus der Perspektive einer Frau. Wenn auch einer Frau, die allen und allem unendlich viel Geduld und Verständnis und Liebe zukommen lassen möchte – ohne das besser zu können als andere. Dass die Frau im Film scheitert, die Welt aber weiterhin schön bleibt, das ist die Konsequenz bei Kawase. Was sie bei Malick wäre, ist mir noch immer nicht klar. Aber klar ist, dass Malick die Überwältigung sucht, mit wagnerianischer Wucht, während Kawase den Regen fallen lässt, den Fluss fliessen und den Wind wehen.

Naomi Kawase
Naomi Kawase

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