SFT12: MY GENERATION von Veronika Minder

'My Generation' von Veronika Minder ©filmcoopi

Mit ihrem wunderbaren, witzigen Katzenball von 2005 hat die Bernerin Veronika Minder die Erwartungen an ihren neuen Film hochgeschraubt. My Generation hat eine täuschend einfache Prämisse: es geht um in der Schweiz lebende Menschen mit Jahrgang 1948, Männer und Frauen mithin, die zu Veronika Minders eigener Generation gehören und die im längst legendären 1968 im richtigen Alter waren, um am gesellschaftlichen Veränderungsprozess aktiv teilzunehmen – oder eben nicht. Dazu hat Veronika Minder eine ganze Reihe von Leuten interviewt und mit der Kamera besucht, welche die Grundvoraussetzung erfüllten, sonst aber möglichst diverse Hintergründe und Biografien aufweisen.

Der fertige Film konzentriert sich auf sechs von ihnen: Patrizia Habegger, Uschi Janowsky, Fredy Studer, Mary-Christine Thommen, Willi Wottreng, Jean-Pierre Ruder. Dass dabei die Männer, vor allem der Journalist Wottreng und der Jazz-Schlagzeuger Studer mehr oder weniger öffentliche Figuren sind, die Frauen dafür eher ‚klischee-typisch‘ (das Hippiemädchen, die Sachbearbeiterin, die Tänzerin), entspricht sicher nicht einer Absicht, ist allenfalls das Resultat des Versuches, etwas mehr zu schaffen, als nur eine Reihe von individuellen Alterungsporträts. Was der Film möchte, umschreibt der kurze Text auf der Webseite der Produzentin Cobrafilm so:

Sie waren jung, wild – und sexy. Heute stehen sie kurz vor
der Pensionierung und machen sich Gedanken über die
Zukunft. Vor vierzig Jahren waren sie zwanzig und „trauten keinem über dreissig.“ Sie haben viele Werte in Frage gestellt und auch sich selbst neu hinterfragt. Für einige war eine dezidiert linke politische Haltung enorm wichtig, für andere die sexuelle Befreiung, die Karriere oder weite Reisen. Manche probierten andere Lebensformen aus und experimentierten mit psychoaktiven Substanzen wie LSD, Cannabis oder Opium. Heute reflektieren sie über die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte und reden übers Älterwerden und ihre Pläne.

My Generation 2

Das alles wird durchaus sicht und hörbar in dem Film, man erfährt einiges über fast alle der Protagonisten. Mit Ausnahme des Raumfahrt-Wissenschaftlers Ruder. Dessen Funktion scheint mehr die eines Theoretikers für globale oder vielleicht eher universale Zusammenhänge zu sein, bis zurück zum Urknall. Aber so, wie seine Ausführungen über die Forschungshintergründe und -Resultate von Mondfahrt bis Teilchenbeschleuniger nie wirklich zu einem tragenden Gerüst für den reestlichen Film werden, so disparat bleiben auch die Biografien der anderen. Nur der einstige Maoist und Aktivist Willi Wottreng, der seine späte journalistische Karriere nach dem Ende der alten Weltwoche als Nachrufschreiber bei der NZZ am Sonntag beschliesst, funktioniert als „Rückgrat“ des Films so, wie es das Konzept möglicherweise vorgesehen hat. Er formuliert mit Schärfe, Witz und Selbstironie, wie sein Leben und das seiner Generation verlaufen ist.

'My Genaration' Willi Wottreng ©filmcoopi
'My Genaration' Willi Wottreng ©filmcoopi

Daran hängen sich die anderen Biografien eher wie einzelne, manchmal durchaus schöne und eigene Gewächse an. In den Erzählungen aller von Ihnen blitzt immer wieder etwas Universelles auf, und manche der vor allem gegen Ende des Films in Themenblöcken organisierten Themen wie Spiritualität, Altern, Selbstzweifel und Selbst-Versicherung schaffen es sogar so etwas wie eine Durchgängigkeit der Unterschiede zu formulieren. Das sind die Momente, in denen aufblitzt, was der Film hätte sein können. Aber so, wie er jetzt, rund 18 Stunden nach seiner Uraufführung in meiner Erinnerung bleibt, treiben da nur einzelne Sätze und Momente durch meinen Kopf. Vor der Premiere im Landhaus sagte die Produzentin Valerie Fischer auf der Bühne, sie habe ursprünglich zu Veronika Minder gesagt: „Wir sollten wieder einmal einen Film über die Babyboomer machen“. Diesen Wunsch haben sie sich erfüllt, und das ist ja nicht wenig. Aber My Generation ist nicht der Film über die Babyboomer geworden, nicht einmal der Film über die Babyboomer in der Deutschschweiz. Und dabei habe ich nicht das Gefühl, falsche Ansprüche an den Film zu stellen – es sind die, die er weckt, aber nicht erfüllt.

Kommentar verfassen