Locarno 13: L’EXPERIENCE BLOCHER von Jean-Stéphane Bron

Drehen in Herrliberg © frenetic
Drehen in Herrliberg © frenetic

In seiner Hoffnung, den Multimillionär und selbsternannten Volkstribunen Christoph Blocher auf eine andere Weise erfahrbar zu machen und kennen zu lernen, ist Jean-Stéphane Bron gescheitert. Als Filmemacher dokumentiert er dies auch, bietet aber zugleich ein handwerkliches Arsenal an Effekten auf, um seine Bemühungen nicht abschreiben zu müssen.

Bron hat Blocher mit dessen Einverständnis gefilmt und begleitet, sass mit ihm stundenlang im fahrenden Auto, auf dem Vordersitz neben dem Chauffeur, Blocher im Fonds. Er hat ihn inszeniert, im leeren Bundeshaus, in der leeren Villa in Herrliberg. Er hat Dokumentaraufnahmen und Inszenierungen verwoben und mit einem subjektiven Kommentar, der sich direkt an Blocher wendet, unterlegt.

Blocher im Auto © frenetic

Bron bezeichnet sich in diesem Kommentar selbstironisch als „embedded journalist“ und erklärt seinen Blick auf Blocher im Auto zur zentralen Perspektive seines Versuches.

Der Film beginnt raunend, mit einem Blick in einen verwunschenen Garten. Das ist die Friedhofsecke, in der sich Blocher als Junge auf einer Steinbank geborgen fühlte, wie wir viel später erfahren. Und dazu zitiert der Vorspann Christoph Blocher, der Gottfried Keller zitiert:

Ob sie geschehn? Das ist hier nicht zu fragen;
Die Perle jeder Fabel ist der Sinn,
Das Mark der Wahrheit ruht hier frisch darin,
Der reife Kern von allen Völkersagen.

Das Gedicht bezieht sich auf die Legende vom Willhelm Tell, doch es scheint sehr passend für die Legende Blocher – bis einem dann doch die Kombination von suggestiv-dramatischer Musik und Überhöhung seltsam aufstösst. Denn der Kontrast zwischen den vielen bekannten Fakten und Geschichten um den Selfmade-Man und das animal politique einerseits und der präsentierten Leere seines Hauses ergibt ein anderes Bild. Und Bron dürfte das nur zu bewusst geworden sein.

Jean-Stéphane Bron mit Christoph Blocher beim Drehen © frenetic

Denn im Kommentar erklärt er rundweg, dass er sich seinen Blocher nun selber erfinden müsse. Er versucht den biographisch-psychologischen Ansatz, die Geschichte vom deutschstämmigen Pastorensohn, der darunter litt, nicht so schweizerisch zu sein, wie er es gerne gewesen wäre, vom Jungen aus armem Haus, der alles daran setzt, reich und mächtig zu werden und sich dann die Idyllen kauft, die seinem Traum am nächsten kämen: Das Schloss Rhäzüns am Rhein und die Anker- und Hodler-Bilder.

Bron ironisiert seine eigenen Konstruktionen, indem er sie übertreibt. Er zitiert C.G. Jung, der am gleichen Ort wie Blocher am Rheinfall aufgewachsen sein soll, und dem dieser Rheinfall eine Bedrohung gewesen sei – während sich Blocher erinnert, dass er einfach laut war. Und dann, nach dem nächsten Schnitt, liegt Blocher auf seiner Wohnzimmer-Couch und schläft.

Dass Bron und Blocher sich mit diesem Filmprojekt entgegengekommen sind, belegt für den Filmemacher eine Aussage Blochers, der erklärt haben soll, er habe kein Bild von sich selber, er sehe sich nicht, er sei ein Mann der Aktion, der Tat. Vielleicht hat Christoph Blocher tatsächlich gehofft, via Bron einen Blick auf sich selber zu erhaschen. Aber die Kontrolle, die er permanent ausübt (und im Hintergrund noch viel mehr seine Frau Silvia, die als mächtige, stumme Präsenz den ganzen Film durchzieht) lässt das nicht zu.

Ein Grund könnte sehr wohl sein, dass es keinen Blocher gibt jenseits der Aktion.

Als Dokumentarfilm ist L’expérience Blocher mehr noch als andere Dokumentarfilme das Dokument seiner eigenen Entstehung. Als Inszenierung erinnert der Film an Orson Welles‘ Citizen Kane, jenes filmische Monument der Einsamkeit des Mächtigen, der seinem Kindheitstraum von Geborgenheit all seinen skrupellosen Möglichkeiten zum Trotz nie nahe kommt.

Aber L’experience Blocher ist als Film nicht sehr spannend. Dort, wo wir zu sehen bekommen, was wir noch nicht kennen, die Blochers ohne Publikum, wirkt er wie ein Blick ins Aquarium. Und wenn der Film lebendig wird, dann sind wir bereits wieder bei den Medienbildern, den Auftritten.

Unter anderen Umständen hätte Jean-Stéphane Bron wahrscheinlich irgendwann aufgegeben und den geplanten Film gekippt. Aber den Kampf mit dem Sujet Blocher, lange angekündigt und nun auch auf dem politischen Parkett mit absurden Argumenten von unerwarteter Seite attackiert, den konnte er wohl nicht mehr einfach bleiben lassen.

Man merkt Bron die Bemühungen um Distanz und kritische Einordnung an, man spürt die grosse Spannung zwischen der Übereinkunft mit seinem Sujet, der Notwendigkeit, fair zu bleiben und der Angst, die eigene Kritik zu sehr zurück zu nehmen. Aber der Blocher, von dem er geträumt haben mag, der manifestiert sich nie. Das ist die Tragik des Films und zugleich – vielleicht – die Tragik Blochers. Denn auch er erscheint immer nur im Spiegel seiner Handlungen und Absichten, auch Blocher kann sich möglicherweise nur so überhaupt wahrnehmen.

Jean-Stéphane Bron © frenetic
Jean-Stéphane Bron © frenetic

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