Cannes 14: TIMBUKTU von Abderrahmane Sissako

Timbuktu von Abderrahmane Sissako 2

In Bamako liess Sissako 2006 die afrikanische Zivilgesellschaft in einer fiktionalen Gerichtsverhandlung gegen Weltbank und IWF antreten. Das war clever, gut inszeniert und ziemlich vielschichtig.

Auch Timbuktu ist jetzt wieder in Mali angesiedelt. Aber der Film ist allenfalls teilallegorisch und dreiviertel realistisch. Er verhandelt im Märchenton die Drangsale der islamistischen Fundamentalisten gegenüber den Bewohnern der Stadt am Wüstenrand. Und auf mich kleinen erschreckten Schweizer wirkt das nun, als ob Märchenerzähler und Filmer Nacer Khemir die Dürrenmattsche Dramatisierung eines Gotthelf-Romans verfilmt hätte.

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Dabei ist der Film überhaupt nicht lustig, oder nur manchmal. Und gar nicht schlecht, jedenfalls nicht im Hinblick auf Inszenierung, Dramaturgie und Bildgestaltung. Bloss mit den Taliban (die wohl welche sind, aber in dem Umfeld wahrscheinlich nicht so heissen, sagen wir also: Islamisten und Lokal-Djihadisten) scheint Sissako auf eine eher unerwartete Weise Mühe zu bekunden.

Timbuktu von Abderrahmane Sissako 4

Zwar zeigt er, wie sie die einst offene und friedliche und offensichtlich wunderschöne Stadt zu einem Geisterort machen, in dem Musik und farbige Kleider und Fussbälle und wahrscheinlich alles, was irgendwie Freude machen könnte, verboten worden ist.

Er zeigt die Steinigung eines jungen Mannes und einer jungen Frau, wohl Ehebrecher. Zwangverheiratung. Verhaftungen. Gerichtsverhandlungen. Und er erzählt von einem braven Viehzüchter, der mit Frau und Tochter, acht Kühen und einem Stiefhütejungen vor der Stadt die Tradition pflegt und den Ängsten seiner Frau zum Trotz nicht wegziehen will. Bis er in der Wut den benachbarten Fischer erschiesst, der seine Lieblingskuh mit dem Speer erlegt hat, weil diese seine Netze zertrampelt hat.

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Jetzt kommt die Scharia zum Zug, das Gericht der Islamisten, und jetzt könnte der Film eigentlich spannend werden – so Sissako denn etwas aus der sorgfältig aufgebauten Situation herausholen würde. Aber nein: Der Mann wird zu vierzieg Kühen Blutgeld verurteilt, obwohl der Richter weiss, dass er nur noch sieben übrig hat und damit sicher gestellt ist, dass die Todesstrafe vollzogen werden kann.

Dass ein anderer der Islamisten zuvor der Frau des Viehhalter nachgestellt hat, spielt übrigens keine Rolle mehr. Eben so wenig der Mann, der mit verbundenen Augen durch die Wüste geführt und von den seinen Häschern respekt voll behandelt worden ist.

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Irgendwo versteckt sich in Timbuktu ein spannender Film, in dem fast alle immer sehr höflich und leise und gottergeben debattieren miteinander, auf einem jämmerlich tiefen intellektuellen und religiösen Niveau zwar, aber irgendwie verblüffend doch.

Und es gibt inszenatorische Momente voller Kraft. Etwa die zu Beginn gezeigte Jagd vom Landrover aus auf eine kleine Gazelle, die am Ende des Films zur schönen kleinen Tochter des Viehzüchters wird – metaphorisch natürlich bloss.

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Und ein Fussballspiel begeisterter junger Männer, aufgrund des islamistischen Verbotes ohne Fussball gespielt, wie der legendäre Tennismatch bei Antonioni in Blow Up.

Ja, das hätte ein Film sein können mit Implikationen, Anliegen, Fragen. Wenn Sissako zu einer Haltung gefunden hätte. Wenn seine Islamisten nicht bloss einfach dumm, oder dumm und korrupt, oder aber dumm und verlogen wären. Wenn sie nicht nur Fleisch am Knochen hätten, sondern auch Gedanken im Kopf, Argumente, Ideen und Widersprüche. Aber sie benehmen sich wie Anwärter auf den Titel Hotzenplotz des Jahres, und bloss, weil man sie nicht ernst nehmen kann, heisst das noch lange nicht, dass sie nicht gefährlich sind.

Aber was ist das bloss für eine Erkenntnis? Der Film lässt mich ratlos und ein wenig wütend zurück. Ich mag sie nicht, diese Taliban. Und ich mag auch den Film nicht, der flattert und flattert, wie eine angeschossene Taube im Wüstenwind.

Abderrahmane Sissako
Abderrahmane Sissako

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