Berlinale 15: VERGINE GIURATA – Sworn virgin – von Laura Bispuri

'Vergine giurata': Flonja Kodheli, Alba Rohrwacher
‚Vergine giurata‘: Flonja Kodheli, Alba Rohrwacher

Eine junge Frau in den Bergen Albaniens entschliesst sich, von einer Tradition Gebrauch zu machen und fortan als Mann in ihrer Gesellschaft zu leben. Dazu muss sie allerdings ewige sexuelle Enthaltsamkeit schwören. Zehn Jahre später reist sie nach Mailand und wird dort ganz langsam doch noch zur Frau.

Laura Bispuris Erstlingsfilm geht von einer Situation aus, die direkt einem Gender-Studies-Labor hätte entsprungen sein können. Aber ihr Film braucht keine Theorie, er spielt das alles ganz praktisch und vor allem ganz einleuchtend und zu Herzen gehend durch.

Alba Rohrwacher
Alba Rohrwacher

Hana ist Waise, ihr Pflegevater hat sie nach dem Tod ihrer Eltern vom Berg herab zu seiner Frau und seiner Tochter gebracht und als seine eigene Tochter aufgezogen. Hana liebt Mutter und Pflegeschwester, aber sie hängt am Ersatzvater, lebt seine Rolle, möchte schiessen und jagen und selbstbestimmt leben. Und der Vater erkennt dies, er lässt sie schiessen, weist sie auf Grenzen und Verhaltensweisen hin.

Als die Schwester mit ihrem Freund vor der traditionellen Frauenrolle nach Italien flüchtet, bleibt Hana mit den Eltern zurück – als Sohn anerkannt vom Vater und der Dorfgemeinschaft, und unter dem Namen Mark. Erst nach dem Tod beider Eltern entschliesst auch Mark sich zu einem neuen Leben, er reist unangekündigt nach Mailand zur Schwester und ihrem Mann und deren Teenager-Tochter.

'Vergine giurata': Flonja Kodheli, Alba Rohrwacher
‚Vergine giurata‘: Flonja Kodheli, Alba Rohrwacher

Für Laura Bispuris Film ist die italienische Schauspielerin Alba Rohrwacher ein Glücksfall. Als Zuschauer erkennt man sie zwar von Anfang an als Frau. Aber als Mark nimmt sie mit ihrer Lakonie und feinen Kleinheit ein, ohne einem richtig vertraut zu werden. Mark/Hana ist ein geschlechtsloses Zwitterwesen, ein Mensch, der einen definierten Preis für eine eng definierte Freiheit bezahlt hat. Und langsam merkt, dass dieser Handel in der alten Umgebung vielleicht sinnvoll schien – in der neuen aber bloss noch absurd sein kann.

Dass es in Mailand dann ausgerechnet die synchronschwimmende Teenager-Nichte sein wird, welche Mark als Frau erkennt und anerkennt und ihre Weiblichkeit befördert, ist ein hübsches Detail in diesem extrem detailreichen, ruhigen Film.

Flonja Kodheli, Alba Rohrwacher
Flonja Kodheli, Alba Rohrwacher

Ein Mädchen, das seine Geschlecht zurückweist, weil es in seinem gesellschaftlichen Umfeld eindeutig als minderwertig und nicht selbstbestimmt definiert ist, wäre schon für sich genommen eine fast unspielbar theoretische Figur. Wenn aber die schliessliche Frauwerdung nach zehn Jahren geschlechtsloser Männlichkeit dazu kommt, wird das vollends abstrakt. Dass es Laura Bispuri mit Alba Rohrwacher zusammen gelingt, diese Abstraktionen konkret erfahrbar zu machen, fühlbar und oft schmerzlich, das ist ein kleines Wunder.

Luan Jaha, Alba Rohrwacher
Luan Jaha, Alba Rohrwacher

Der Film ist eine italienisch-schweizerisch-deutsch-albanisch-kosovarische Koproduktion, und bevor die ersten Bilder auf der Leinwand erscheinen, lacht das Publikum schon einmal einigermassen verblüfft über den endlosen Vorspann mit Geldgebern und Produktionspartnern. Ihre Vielzahl deutet darauf hin, dass kein einzelner Produzent das Risiko alleine tragen wollte oder konnte, dass wohl insgeheim fast alle damit rechnen mussten, dass ein dermassen kühnes Projekt auch einfach scheitern kann. Aber der Film ist geglückt.

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