NIFFF 15: TRUE LOVE WAYS von Mathieu Seiler

Anna Hausburg ist Severine in 'True Love Ways' © Grand Hotel Films
Anna Hausburg ist Severine in ‚True Love Ways‘ © Grand Hotel Films

Severine (Anna Hausburg) gibt Tom den Laufpass. Sie habe sich im Traum in einen Fremden verliebt, der sie geküsst hat wie noch keiner zuvor. «Du kannst mich doch nicht für einen Traum verlassen!» sagt Tom ziemlich fassungslos und geht sich in einer Bar betrinken.

Dort macht ihm ein Mann einen Vorschlag: «Sei ihr Tarzan. Wir erschrecken sie ein wenig und Du rettest sie aus ihrer Not.» Da trifft es sich gut, dass Severine ein paar Tage wegfahren wollte. Ihre Fahrtroute aus der Stadt heraus ist nicht schwer zu eruieren.

Michael Kai Müller als Tom und David C. Bunners als Chef © Grand Hotel Pictures
Michael Kai Müller als Tom und David C. Bunners als Chef © Grand Hotel Pictures

Was aber hat es mit den Männern in den dunklen Anzügen auf sich, die Severine am Tag zuvor im Park mit einer Kamera gesehen hat? Wer war das blonde Mädchen im Rollstuhl, das sie so unverhohlen anstarrte?

Als mitten im Wald im Rückspiegel von Severines altem VW-Käfer zum ersten Mal der dunkle Rolls Royce auftaucht, bleibt keine Zeit mehr für Fragen. Und in der einsamen alten Villa, in die sie flüchtet, schon gar nicht mehr.

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Zwei Jahre nach der Premiere von Der Ausflug am NIFFF 2013 ist Mathieu Seiler wieder da. Mit einem lyrischen Giallo in betörendem Schwarzweiss. Einiges an True Love Ways erinnert an Seilers skandalumwitterten Erstling Stefanies Geschenk. Die Bilder in Schwarzweiss natürlich, das träumerisch in die Sechziger Jahre zurückweisende Dekor, die alten Möbel, die zuerst in Severines Traum, dann in der alten Villa auftauchen. Vor allem aber die älteren Herren in Anzügen und mit Sonnenbrille. Sie sind Phantom-Brüder der von Werner Düggelin und Norbert Schwientek gespielten Männer in Stefanies Geschenk.

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Der VW-Käfer, Severines Kleidchen und ihr prinzessinenhaft selbstvergessenes Herumlungern auf dem Bett im Unterrock, schliesslich gar mit monströsem Teddybär, gehören zu dieser Seilerschen Traumwelt, die nie preisgibt, ob sie nun Männer- oder doch eher Frauenphantasie sei.

Kai Michael Müller und Anna Hausburg in 'True Love Ways' © Grand Hotel Pictures
Kai Michael Müller und Anna Hausburg in ‚True Love Ways‘ © Grand Hotel Pictures

Das ist eines der Geheimnisse von Mathieu Seilers Filmen: Man verliert sich in diesen Phantasien, der eigene männliche (und wohl auch weibliche) Blick auf einen Frauen- oder Mädchenkörper wird von der Inszenierung der Figuren überlagert, dem Traumbild dieser Frauen, dem Traum wohl, der auch Severines unerklärliche und sehnsuchtsvolle Verliebtheit auslöst – und ihr damit erklärtermassen Angst macht.

Oh, Severine mag die schmollende Prinzessin geben, das trotzige Kind oder auch die erschreckte oder wütende junge Frau: Wenn es dann zur Sache geht und blutig wird, handelt sie entschlossen und schnell und vor allem unzimperlich. Schliesslich ist auch der Alptraum noch immer ihr Traum, und sie hat ihn gesucht.

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Für Mathieu Seiler, und damit auch für seine Wunschbesetzung Anna Hausburg, ist das eine Spielwelt par excellence. Die Regeln des Giallo sind in etwa so klar wie die Gesetze des Traumes. Da ist vieles möglich, einiges obligatorisch, das meiste aber darf sich organisch ergeben.

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Anna Hausburg spielt mit offensichtlichem Vergnügen, zumal Seiler als Regisseur stets auf wundersamen Ausgleich bedacht ist. Severine geht in einer frühen Szene unter die Dusche, ein Blick auf den noch makellosen, heilen nackten Körper wird gewährt, aber nicht frontal, und in einer einzigen energischen Bewegung zieht sie den Duschvorhang zwischen sich und das Publikum.

Momente wie diesen gibt es etliche in True Love Ways, Inszenierungen, in denen sich der Film als Film zu erkennen gibt und uns als Zuschauer anerkennt. Wenn Severine in der alten Villa die Männer die Treppe hochkommen hört und sich wie ein Kind unters Bett flüchtet, ist das mit gerade so viel stiller Komik gefilmt, dass es entwaffnet und den kommenden Schock um so schöner einführt. Denn nun wird der leblose Körper einer Frau auf das Bett geworfen, angebunden und Kamera und Ton getestet. Weil der Tonmann pegeln muss, entfernt einer der Männer kurz das Pflaster vom Mund der Frau, sie schreit, und der Tonmann ist zufrieden, Pflaster zurück.

Derweil liegt Severine unter dem Bett, erblickt eine Steckdose und stöpselt kurz entschlossen ihr Telefonladegerät ein – während auf dem Bett über ihr die andere Frau vor laufender Kamera erstochen wird. Und das ist kein billiger Gag bei Seiler, sondern Traumbalance. Die Komik kontrastiert nicht wie im Teenie-Slasher mit der angedeuteten Grausamkeit, sie ist Teil davon. Und umgekehrt.

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True Love Ways ist auf wundersame Weise mehrkanalig, auch darin dem Traum und seiner von jeher überlegenen Erzähltechnik verwandt. So bekommt Severine bald nachdem sie entdeckt hat, dass vom Schlafzimmerfenster ihrer Wohnung die Vorhänge verschwunden sind, ein Päckchen per Post. Und darin liegt nicht etwa eine Videokassette (wie etwa bei Haneke), sondern eine Audiokassette. Severine spielt sie und hört mit wachsendem Entsetzen sich selber in der Nacht davor. Am Telefon, beim Erbrechen im Bad, dann hört man eine Schublade aufgehen, Severines Kopf dreht sich, der Kamerablick folgt ihrem zum Nachttisch. Ein penetrantes Surren setzt ein, Severines ohnehin grosse kindliche Augen weiten sich, ihr Blick fällt auf das zerwühlte Bett. Der Vibrator kommt nie ins Bild, aber wir bekommen ihn nicht mehr von der Netzhaut weg.

Das Mikrofon sucht Severine dann allerdings vergeblich in der Wohnung. Erst viel später, in der alten Villa, als sie sich wieder wie ein Kind unter einen grossen Tisch mit bis zum Boden hängendem Tischtuch geflüchtet hat, findet sie das Ding. In ihrer Handtasche. Und zu dem Zeitpunkt hört auch ihr Verfolger mit dem Kopfhörer auf den Ohren zum ersten Mal seine eigenen Schritte, als er um den Tisch herum geht.

Mathieu Seiler inszeniert hier nicht nur eigentliche Hörspiele auf der Tonspur, er inszeniert sie auch so, dass sie das Bild zwingend brauchen und zugleich ein anderes produzieren. Das ist von einer spielerischen, träumerischen Raffinesse, die ihresgleichen sucht.

Bis zum Ende bleibt Seiler sich selber und zugleich dem strukturgebenden Giallo treu. Nicht nur die inszenierten Phantasien oszillieren zwischen männlich, weiblich und kindlich. Auch Gut und Böse bleibt ambivalent. Nicht im moralischen Sinne, da ist True Love Ways wohltuend Genrekino, sondern im Sinne der Wunscherfüllung. Wenn Severine sagt, sie fürchte sich vor ihrem Traum, dann auch darum, weil diese Traumwelt mit ihren integralen Schrecken und Gefahren anziehender ist, als ihre Realität. Bis die Traumerfüllung zwangsläufig in der Realität ankommt und damit einen neuen Traum provoziert.

Mathieu Seilers Filme wirken immer wieder verstörend auf Leute, die von ihrer Schönheit angezogen werden, aber keine Ahnung haben vom Kino und seiner schönen Dunkelheit. Die sehen dann Perversion, wo doch nur das Leben von sich selber träumt.

Mathieu Seilers Filme, und True Love Ways ganz besonders, sind spielerische Wunscherfüllungen, die träumerische Spiele bleiben. Damit sind sie unzerstörbar, suchen und finden und erfinden sich sehnsüchtig selber und bleiben so am Leben. In grosser Schönheit noch im kleinsten Schrecken.

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