ZFF2015: NICHTS PASSIERT von Micha Lewinsky

'Nichts passiert': Devid Striesow als Thomas Engel © Filmcoopi
‚Nichts passiert‘: Devid Striesow als Thomas Engel © Filmcoopi

Mit seinem ersten Spielfilm Der Freund gewann der damals 36jährige Filmemacher 2008 den Schweizer Filmpreis Quarz. Und mit Die Standesbeamtin bewies er nur ein Jahr später, dass er ein Händchen für leichte, romantische Komödien hat. Jetzt, sechs Jahre später, schlägt Micha Lewinsky ganz andere Töne an: Nichts passiert heisst der Film, der am Zürich Film Festival am Samstagabend Premiere feierte. Und natürlich passiert ganz viel darin.

Als «Schwarze Komödie» wurde der Film im Programmheft des Festivals in Zürich angekündigt – vielleicht, weil man das von Micha Lewinsky, Drehbuchautor und Filmregisseur, erwartet. Der Sohn von «Fascht e Familie»-Vater Charles Lewinsky hat bewiesen, dass auch er sein Publikum ziemlich gut zum Schmunzeln bringen kann.

Die Zuschreibung «Komödie» ist allerdings wenig passend für den neuesten Film Lewinskys. Schwarz, das ist er, rabenschwarz. Komödiantisch ist er noch in der ersten Szene, in der ein Mann – Thomas – bei der Psychiaterin sitzt und sich redlich bemüht, Harmonie und Wohlgefallen zu verbreiten. Und je mehr er in der Therapie (die ihm offenbar nach einem Aussetzer verordnet worden ist) behauptet, alles sei in Ordnung, desto weniger glauben wir ihm.

Dann fährt Thomas mit seiner Frau, seiner Teenagertochter Jenny und deren Schulfreundin Sarah in die Skiferien ins Bündnerland, wo er für sich und alle ja eigentlich nur das Beste möchte. Für seine Frau Ruhe und Entspannung, damit sie endlich ihren Roman fertig schreiben kann, und für seine Tochter tolle Tage auf der Piste mit einer Freundin. Thomas verbreitet krampfhafte Heiterkeit und Harmonie, in seinem selbergestrickten Pulli und mit seinem immerwährenden Lächeln.

David Striesow © Filmcoopi
Devid Striesow © Filmcoopi

Dem deutschen Schauspieler Devid Striesow scheint die Rolle auf den Leib geschrieben, dieser Thomas, der es eigentlich immer nur schön haben möchte und gar nicht gerne Entscheidungen für etwas trifft. Weil er sich dann auch gegen etwas anderes entscheiden müsste. Lieber entscheidet er gar nichts, übernimmt keine Verantwortung und in Familienfragen sagt er immer «Frag die Mama».

Natürlich aber ist es genau dieses krampfhafte Festhalten an einer behaupteten Familienharmonie um jeden Preis, die diese Harmonie gründlich zerstört. Als er einmal wirklich Verantwortung übernehmen muss, ist er damit komplett überfordert. Und damit «nichts passiert» ist, verstrickt sich Thomas immer mehr in ein Lügennetz.

'Nichts passiert' Maren Eggert, David Striesow © filmcoopi
‚Nichts passiert‘ Maren Eggert, Devid Striesow © filmcoopi

Das wäre tatsächlich Stoff für eine leichte, witzige Komödie. Micha Lewinsky aber treibt seine Figur Thomas so weit in die Bredouille mit seiner Art, sich alle Probleme schön zu reden (sein Lieblingssatz ist «man kann ja miteinander reden» auch wenn es längst nichts mehr zu reden, sondern nur noch zu handeln gäbe), dass es schnell von lustig zu beklemmend wird.

Manchmal wirkt es, als treibe Autor und Regisseur Lewinsky selber ein grausames Spiel mit dieser Figur Thomas, um zu schauen, wie lange es geht, bis der verantwortungsscheue, harmoniesüchtige Mann zusammen bricht.

Manchmal schiesst der Plot dabei über sein Ziel hinaus mit immer noch weiteren Wendungen und absurden Situationen. Doch genau deshalb ist dieser Film so eindrücklich, weil er es immer ein bisschen zu weit treibt, das grausame Spiel mit den Figuren, in deren Zentrum dieser traurige Narr von einem Mann alles aufwühlt.

Annina Walt als Sarah Orlov © filmcoopi
Annina Walt als Sarah Orlov © filmcoopi

Nicht nur Devid Striesow ist grossartig in Nichts passiert – ein wunderbares Ensemble hat Micha Lewinsky im Prättigau versammelt, Maren Eggert als Frau Martina, Lotte Becker als Tochter Jenny, Max Hubacher als junger Einheimischer und vor allem die jetzt 19jährige Schweizerin Annina Walt sind ganz starke Figuren.

Sechs Jahre nach seinem letzten Film ist Micha Lewinsky wieder auf der Bildfläche. Gereift und mit ganz anderen, differenzierteren Tönen.

'Nichts passiert'-Regisseur Micha Lewinsky © Filmcoopi
‚Nichts passiert‘-Regisseur Micha Lewinsky © Filmcoopi

Premiere hatte Nichts passiert gestern Abend am ZFF. Ins Kino bringt der Verleiher Filmcoopi den Film im Februar 2016.

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