Berlinale 16: HEDI (Inhebbek Hedi) von Mohamed Ben Attia (Wettbewerb)

Majd Mastoura (Hedi), Rym Ben Messaoud (Rim)
Majd Mastoura (Hedi), Rym Ben Messaoud (Rim)

Fünf Jahre nach der Revolutionswelle vom Dezember 2010 ist Tunesien zerrissen zwischen Aufbruch und Hoffnungslosigkeit, Dämmerung und Tradition. Ursprünglich habe er einen jungen Mann zwischen zwei Welten zeigen wollen, sagt Regisseur Mohamed Ben Attia.

Berlinale_Balken_2016

Aber die Idee war noch geprägt von der Aufbruchsstimmung des arabischen Frühlings. Und nun ist Hedi, der junge Mann ein beinahe verlorener Mensch. Zwar zeichnet er mit Leidenschaft surrealistische Comic-Panels. Aber sein Alltag wird von der Tradition bestimmt, von seiner extrem dominanten Mutter.

Sabah Bouzouita, Majd Mastoura
Sabah Bouzouita, Majd Mastoura

Die Mutter verwaltet den kargen Lohn, den er als Verkaufsvertreter der tunesischen Peugeot-Niederlassung verdient. Und seine Mutter hat auch seine kommende Hochzeit mit der hübschen, pflichbewussten guten Tochter Khedija arrangiert. Mit Hilfe des in Frankreich lebenden älteren Bruders von Hedi.

Im Zuge des Niedergangs der tunesischen Tourismus-Industrie leidet die ganze Wirtschaft. Sein Boss zwingt Hedi, sein Vertretergebiet in eine weit entfernte Stadt zu verlegen, die schon gebuchte Hochzeitsreise muss auf Oktober verschoben werden.

Zwei Jahre lang hat der junge Mann seine künftige Braut nur immer wieder heimlich im Auto getroffen. Jetzt langweilt er sich alleine im Hotel in der fremden Stadt, die Geschäfte laufen nicht. Der einzige Lichtblick ist die dreissigjährige Rim, die zum Animations-Team des Hotels gehört. Sie tanzt für und mit den Touristen (die, wenn überhaupt noch, vornehmlich aus Deutschland kommen) und hütet deren Kinder.

Majd Mastoura, Rym Ben Messaoud
Majd Mastoura, Rym Ben Messaoud

Rims selbstbestimmte Freiheit beeindruckt Hedi, er verliebt sich in sie und ihre abenteuerlustige Haltung zum Leben. So sehr, dass er bei einem der nächsten Treffen im Auto seine hübsche Braut verstört mit der Frage, ob es eigentlich etwas gebe in ihrem Leben, das sie wirklich wolle, für sich selbst.

Tunesien als Muttersöhnchen im Ablösungskampf, das mag nach einer etwas platten Metapher klingen. Der Film bleibt aber nicht dabei. Die Szenen aus dem Alltag inszeniert Attia sorgfältig und direkt. Die belgischen Frères Dardenne sind Koproduzenten des Films und ihr Stil hat abgefärbt.

Da sind einerseits die banalen Alltagssituationen, welche das Leben der Figuren präzise charakterisieren. Und andererseits eine Kamera, welche selten auf Distanz geht, häufig, wie bei den Dardennes, auf den Schultern der Protagonisten verharrt, und ein Schnitt, der immer wieder dokumentarisch wirkt.

Majd Mastoura
Majd Mastoura

Es gibt ganze drei Momente im Film, in denen sehr beiläufig die politische Situation des Landes überhaupt angesprochen wird. Ansonsten herrscht die Banalität des Alltags. Einmal erwähnt Hedis junge Braut, dass ihrem Vater der Pass abgenommen worden sei.

Einmal fragt Rim Hedi, ob er im Dezember 2010 bei den Protesten dabei gewesen sei. Und er erzählt, er sei mehr zufällig hineingeraten. Aber beeindruckt hätte ihn die allgemeine Stimmung nach dem dreitägigen Generalstreik, als in den Gesichtern der Menschen ein Leuchten aufgetaucht sei, ein Gefühl, als ob sich alle ein bisschen lieber hätten danach. Rim dagegen sagt bedauernd, sie habe das alles verpasst in ihrem Ferienresort.

Und dann, gegen Ende des Films, stellt sich heraus, dass der Vater der Braut verhaftet worden ist. Er hat, wie die meisten Geschäftsleute, jahrelang Bestechungsgelder bezahlt. Bloss ist das jetzt, nach der Revolution, strafbar.

Hedi ist ein unspektakulärer Film über die Stimmung in einem Land, die, von aussen betrachtet, immer noch zwischen revolutionärem Aufbruch und erloschenen Hoffnungen pendelt.

Der Sohn, dem der Mut fehlt zum Weggehen, aber auch die Ergebenheit, um sich ins private Traditionsglück mit einer braven Frau und einer überfürsorglichen Mutter zu schicken: Vielleicht trifft die Figur tatsächlich das Lebensgefühl in Tunesien.

Regisseur Mohamed Ben Attia © Sawssen Saya
Regisseur Mohamed Ben Attia © Sawssen Saya

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