SFT 17: QUAND J’ETAIS CLOCLO
von Stefano Knuchel

Papa Knuchel am Ende. ‚Quand j’etais Cloclo‘ © outside the box

Zusammen seien sie 395 Jahre alt und hätten Alkoholismus, Gefängnis, Drogen, Betrügereien und Depressionen überlebt, sagt Stefano Knuchel von seiner Familie. Das Überleben verdanken sie der Mutter, die Katastrophen dem Vater. Das wäre das vordergründige Fazit dieses verspielten, charmanten Dokumentarfilms.

Bloss betont Knuchel, Moderator und Showman beim Tessiner Radio und Fernsehen RSI, immer wieder, wie wunderbar das Leben auf der Flucht gewesen sei. Wie glamourös die ersten Jahre in der Villa in Locarno Monti. Ein wenig zu oft.

Knuchels Eltern gründeten ihre Familie im Boom der späten 50er und der anbrechenden 60er Jahre. Der Vater machte Geld, indem er im Tessin Häuschen aufkaufte, sie notdürftig aufpeppte und für das Zehnfache an Deutschschweizer weiter verschacherte.

Ami-Schlitten, Swimming-Pool, Party-Nächte und eine Bar im Haus, das sind Knuchels frühe Erinnerungen. Später ein Motel mit Nachtclub, die Mutter als Bardame, und dann immer wieder Aufbruch über Nacht, mit Sack und Pack und allen Geschwistern, nach Marbella in Francos Spanien, an die Côte d’Azur. Überall, wo der Vater vor dem Zugriff seiner Gläubiger und der Polizei einigermassen sicher war und neue Geschäfte aufgleisen konnte.

Showmanship und Betrügereien erfordern das gleiche Talent, den gleichen Charme und Instinkt. Was die beiden auseinander hält, ist allenfalls der moralische Kompass. Oder schlicht mehr oder weniger Menschlichkeit.

Stefano Knuchel schwärmt aber zuerst einmal von einer spannenden, bewegten, aufregenden und offenbar mehrheitlich fröhlichen und liebevollen Kindheit. Er spielt sich selber als Jugendlichen, in seiner ganzen reifen Erscheinung mit Bärtchen und Anzug. Er liegt wie damals mit dem Walkman auf dem Rücksitz einer Citroën DS, als die Polizei den Vater endgültig verhaftet.

Er holt die Fotoalben hervor, in denen er als etwa Zehnjähriger den verstorbenen französischen Sängerstar Claude François alias Cloclo, imitiert, vor Publikum, komplett mit Schwester und einer Freundin als Claudettes und im von Vater und Mutter liebevoll mit Pailletten bestickten blauen Jacket. Er animiert die Fotografien. Er animiert die Erinnerungen.

Stefano und sein Bruder ahnen, dass es nicht dauern wird © outside the box

Bis zum Zerfall der Familie, dem Drogenabsturz des Bruders, dem Neu-Anfang der Mutter im Tessin mit einem neuen Mann und viel Energie.

Das alles versprüht einen mitreissenden Charme, ist getragen von einer nostalgischen Begeisterung, vom ewigen Glamourmotto «the show must go on», und einer Dankbarkeit fürs Überleben.

Die irre, verrückte Familiengeschichte der Knuchels (zu der auch Filmemacher und Onkel Alfredo gehört, der aber nur kurz als China-Heimkehrer auf ein paar Fotografien auftaucht) ist faszinierend und Stefano Knuchels verspielter Zugriff darauf hätte alles, was ein Publikumsliebling bräuchte.

Aber es geht dem Filmemacher wie seinem Vater: Er verpasst den Richtigen Zeitpunkt, um aufzuhören. Mit 105 Minuten ist Quand j’etais Cloclo um etwa die Hälfte zu lang geraten. Vieles wiederholt sich. Und die Insistenz auf die goldenen Kindheitserinnerungen hat einen längst ermüdete, als Knuchel im Film die zu erwartende Rechnung präsentiert. Das ist verständlich aus der Sicht des Filmemachers, aber ein klares Versagen auf Produktionsseite. Nur Aussenseiter können kürzen, wenn es um die ureigenen Herzensangelegenheiten geht.

Nächste Aufführung Solothurner Filmtage: Dienstag, 24. Januar 2017

Kinostart Deutschschweiz: Herbst 2017 Juni 2018: Die Kinofassung welche Outside the Box nun auf die Leinwand bringt, wurde auf 92 Minuten gekürzt, was dem Film deutlich mehr Zug verleiht.

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