Cannes 17: AUS DEM NICHTS von Fatih Akin

Diane Krüger und Numan Acar © Bombero Int.
Die rechtsextremen Mörder der NSU und der schier endlose Prozess gegen sie sind der Ausgangspunkt für Fatih Akins jüngsten Film.

Diane Krüger spielt Katja Şekerci, die deutsche Frau eines Secondo-Türken und Mutter eines Sohnes. In der Auftaktsequenz des Filmes heiraten die beiden, im Gefängnis, wo Nuri für Drogenhandel einsitzt. Er war Katjas Haschlieferant, so haben sie sich kennengelernt.

Katia Şekerci (Diane Krüger) mit ihrem Sohn © Bombero Int.
Dann setzt der Film rund zehn Jahre später wieder ein. Nuri hat ein Übersetzungsbüro in einer Hamburger Strasse mit lauter türkischen Geschäften. Seit der Geburt des Sohnes hat er für die Familie eine Existenz aufgebaut; mit Hilfe seines Vaters konnte das Paar auch ein schönes Haus ausserhalb Hamburgs kaufen.

Katja liefert den Sohn im Geschäft ab, um mit der schwangeren Schwägerin in die Sauna zu gehen. Als sie am Abend zurück kommt mit dem Auto ist die Strasse gesperrt, überall Polizei. Eine Bombe ist explodiert vor Nuris Laden, Katjas Mann und Sohn sind tot.

Diane Krüger © Bombero Int.
Natürlich gehen die Ermittler ganz selbstverständlich davon aus, dass Nuri in irgendetwas verwickelt war, dass die türkische oder kurdische Mafia oder eine Abrechnung unter Drogendealern hinter dem Bombenanschlag steht. Und dies, obwohl Katja zu Protokoll gibt, dass sie vor dem Wegfahren vor dem Geschäft eine blonde junge Frau darauf aufmerksam gemacht hatte, sie solle das nagelneue Velo mit Gepäckbox, das sie da abgestellt hatte, lieber abschliessen.

Im Kern der Geschichte, die Fatih Akin erzählt, steht die Ungeheuerlichkeit, dass – wie von den NSU-Mördern demonstriert – in Deutschland Menschen umgebracht wurden, einfach, weil sie allenfalls einer anderen Nationalität angehörten. Und dass das für so unmöglich gehalten wurde, dass es jahrelang nicht einmal richtige Ermittlungen in die Richtung gab.

Dem gegenüber stellt der Film den Schmerz der Betroffenen und deren Bedürfnis nach Gerechtigkeit, oder auch Rache. Beides verkörpern die von Diane Krüger gespielte Katja und der von Denis Moschitto gespielte Anwalt, der Katja beim Prozess vertritt.

Diane Krüger © Bombero Int.
Diane Krüger ist glaubwürdig und stark in dieser für sie ungewöhnlichen Rolle, die zudem die erste Hauptrolle ist, die sie in ihrer Muttersprache spielt. Auch rein äusserlich gelingt die Annäherung an die Figur, die blonde, blauäugige junge Frau aus Husum, die sich als Studentin in den eben so jungen Türken verliebt hat, das Studium abbrach, den gemeinsam Sohn betreute, die Buchhaltung des Mannes übernahm und sich hin und wieder auch ein neues Tattoo stechen liess, zum Ärger ihres Mannes.

Nach all den Glamour-Rollen, in denen man Diane Krüger schon gesehen hat, ist es besonders erfreulich, dass sie hier nicht eine Komplettverwandlung versucht, sondern wirklich mit schauspielerischem Talent diese Frau verkörpert.

Aber abgesehen von dieser respektablen, zurückhaltenden Leistung der Hauptdarstellerin bleibt der Film dramaturgisch auf einem relativ simplen Niveau. Prozessszenen wechseln sich ab mit Familiendisputen. Die kurdischen Schwiegereltern möchten die sterblichen Überreste von Sohn und Enkel mit in die alte Heimat nehmen, Katjas Mutter erweist sich als latent fremdenfeindlich, Nuris Mutter gibt der Schwiegertochter die Schuld am Tod ihrer Liebsten.

Und der von Johannes Krisch gespielte Anwalt der Angeklagten ist ein Bilderbuchschmierfink, der einen griechischen Neonazi als Entlastungszeugen einfliegen lässt. Während ausgerechnet der von Ulrich Tukur gespielte Vater des einen Angeklagten gegen seinen Sohn aussagt und so die anständige Mehrheit der Deutschen verkörpert.

Es folgt der unvermeidliche Freispruch der Angeklagten aus Mangel an Beweisen und eine Schleife über Griechenland, in der Katja versucht, für sich Gerechtigkeit zu finden und die Dinge in die eigene Hand zu nehmen.

Regisseur Fatih Akin mit Diane Krüger © Bombero Int.
Das ist alles gut und flüssig erzählt, der Film hat eine gewisse Spannung und ein paar wirklich starke Momente. Aber es bleibt einfach zu viel Drehbuchmechanik sichtbar, um wirklich unter die Haut zu gehen.

Fast jede Figur erfüllt eine Funktion, und jede Handlung wird irgendwann im Rückblick bedeutsam, selbst der triumphierende Moment in einer Rückblende, in dem Katja das ferngesteuerte Auto ihres Sohnes sachverständig repariert. Das ist zwar schön eingebettet und wirft ein sympathisches Licht auf die Familie. Aber spätestens, als Katja ihre Fähigkeiten zum zweiten Mal unter Beweis stellt, wird die erste Szene dadurch zur Erzählfunktion degradiert.

Fatih Akin hat das Drehbuch zusammen mit Hark Bohm geschrieben und der Film wirkt so, als ob daran nach allen Regeln der zeitgenössischen Produktionsgepflogenheiten geschraubt, gefeilt und optimiert wurde. Jedenfalls fehlt dem Film bis auf wenige Momente die Rohheit und Wucht, die seinerzeit Gegen die Wand zum Ereignis gemacht hatten.

In erster Linie liegt das wohl daran, dass hier die Figuren Ideen und Gefühle zu verkörpern haben, dass die Geschichte passend geschrieben wurde, um unfassbare reale Ereignisse zusammenfassend zu dramatisieren. Das macht Menschen zu Funktionen und ihre Beziehungen zu dramaturgischen Energieträgern. So was funktioniert nun mal einfach besser mit Comic-Super- oder Antihelden, und nicht so gut mit menschlichen Figuren, die einem wirklich ans Herz wachsen sollen.

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