WESTERN von Valeska Grisebach

‚Western‘ von Valeska Grisebach © trigon

Ein deutscher Film, der «Western» heisst und im Osten spielt? Ein grosser Genuss. Denn Filmemacherin Valeska Grisebach geht mit ihrem Film nicht nur in den wilden Osten, sie macht die Ränder Europas zur «final frontier» zur letzten richtigen Herausforderung.

Da sind richtige Kerle am Werk. Männer, die mit Motorsägen umgehen können, mit Baggern, und mit Pferden. Mit Frauen tun sie sich dagegen etwas schwer.

Meinhard Neumann, Aliosman Deliev © trigon

Zu Beginn des Films versammelt sich die Bauarbeiter-Truppe rund um den Vorarbeiter Vincent (Reinhardt Wetrek) in einem Männerheim im Osten Deutschlands. Man scherzt und nimmt erste Witterung auf.

Einer der Einheimischen fragt etwas erstaunt, was die Truppe denn vorhabe? «Na, arbeiten eben. In Bulgarien. Geld verdienen…»

«Arbeiten kannst doch auch in Deutschland…» meint der Mann verblüfft.

Klar kann man auch in Deutschland arbeiten. Aber für diese Kerle ist der Auftrag in Bulgarien nicht nur eine lukrative Gelegenheit, sondern auch ein Abenteuer.

Ein Wasserkraftwerk soll gebaut werden, in der wilden bulgarischen Provinz von Blagoevgrad, an der Grenze zu Griechenland. Und diese Bautrupp-Söldner aus Deutschland kommen mit dem Know-how und den Maschinen.

© trigon

Sie bauen ihr Barackencamp und ziehen die schwarz-rot-goldene Fahne hoch… was allerdings nicht alle von ihnen gleich schlau finden:

«Das glaub ich jetzt nicht!» schimpft einer. «Schon mal an die Einheimischen gedacht?» – «Ja nur. Deswegen bauen wir ja ein Wasserkraftwerk.»

Dieser Film hat tatsächlich alle Elemente eines Western. Rauhe Männer unter sich, in einer wilden, fremden Gegend, mit der Arroganz der Eroberer und dem Misstrauen der Einzelgänger.

Meinhard Neumann © trigon

Und einer von ihnen, Meinhart (Meinhart Neumann, eine schlaksige deutsche Reinkarnation des Original-Marlboro-Mannes)  ist dann gar noch der grosse schweigsame Unbekannte. Der Vorarbeiter testet ihn gleich mal mit einem kaputten Baggerteil, fragt, ob er eher Grob- oder Feinmotoriker sei.

Der Neue besteht den Test mit fliegenden Fahnen, zwei Klicks und das Teil ist wieder funktional. Annerkenendes Nicken und dann gleich die Nachfrage: «Und, bist ein Schlitzohr?»

«Ich bin hier, um Geld zu verdienen», ist Meinhards ruhige Antwort.

Meinhard Neumann © trigon

Was noch fehlt, ist der Konflikt mit den Einheimischen. Und auch der lässt nicht auf sich warten. Beim Baden am Fluss treffen die Männer auf ein paar Frauen aus dem Dorf, eine verliert ihren Sonnenhut im Wasser und der Vormann schnappt sich den, provoziert die Besitzerin und die Frauen ziehen wütend ab.

Nun stehen die Fronten zwischen den Arbeitern aus Deutschland und den Menschen im Dorf. Und der einzige, der die Verständigung sucht, ist Meinhart.

Meinhart, der Schweigsame. Meinhart, der Reiter, der sich im Gebüsch einen Gaul schnappt und zähmt. Meinhart, der still und leise die schönste Frau im Dorf verführt und sich mit dem Capo anfreundet.

Die Schauspieler, grösstenteils Laien, sind perfekt besetzt, die Szenen so archaisch wie zeitgenössisch und die Kamera trägt das ihre bei zum Western-Feeling.

Und zugleich ist das ein hochmoderner Film, angesiedelt in der heutigen europäischen Oekonomie, mit sparsamen, hochpräzisen Dialogen und einer vibrierenden Spannung, die bis zum Ende vorhält.

Meinhard Neumann, Aliosman Deliev © trigon

Produziert hat übrigens die junge Firma um Maren Ade, die mit ihrem «Toni Erdmann» selber schon erfolgreich nach Osten vorgestossen ist.

Ein deutscher Film, gedreht in Bulgarien, auf starke, stille Weise unterhaltsam und relevant zugleich, mit der europäischen Idee als der «final frontier» des alten Westens – dem weiten Land der grossen Hoffnung – und der scharfen Skepsis.

Gelegentlich kommen da Erinnerungen auf an Frank Beyers «Spur der Steine» von 1966. Da spielte der junge Manfred Krug den charismatischen Vorarbeiter der Zimmermanns-Brigade Balla. Die rauhen Gesellen mischten jede Baustelle auf, widersetzten sich der Planwirtschaft der SED und klauten auch schon mal Baumaterial, um einen Auftrag rechtzeitig fertig zu stellen.

Auch Frank Beyer nutzte Western-Elemente um das rebellisch-pragmatische Wesen seiner «Kerls» zu unterstreichen. Entsprechend schlecht kam der Film denn auch beim Zentralkomitee der DDR an. Sein Publikumserfolg wurde schnellstmöglich abgewürgt.

Solche Schwierigkeiten hat Valeska Grisebach nicht zu gewärtigen. Ihr Film gehört zu den schönsten und klarsten, welche dieses Jahr aus Deutschland zu sehen sind.