Nyon 18: GENESIS 2.0 von Christian Frei, Maxim Arbugaev

Im Herbst im Kino: ‚Genesis 2.0‘ © frenetic

Sein junger russischer Ko-Autor habe ein Angebot eines kommerziellen Pay-TV-Kanals gehabt für seine spektakulären Aufnahmen der «Mammutjäger» auf den sibirischen Inseln, erzählte Christian Frei gestern nach der Weltpremiere seines neuen Dokumentarfilms.

Aber als Maxim Arbugaev und Frei sich in Nyon, am Dokumentarfilmfestival, getroffen hatten, habe Frei ihm vorgeschlagen, die Möglichkeiten der europäischen und insbesondere der Schweizer Filmförderung zu nutzen: «Let us make art».

Kunst statt Infotainment, ein echter Dokumentarfilm, statt toller Bilder hinter einer gottesstimmigen, alles erklärenden Kommentarspur: Man kann sich Genesis 2.0 tatsächlich auch im Stil des Discovery Channels vorstellen, mit bombastischer Musik unterlegt und getragen von der Stimme von Morgan Freeman.

Aber Christian Frei, Präsident der Schweizer Filmakademie, Regisseur von War Photographer, und bei Genesis 2.0 eben nicht nur Co-Regisseur, sondern auch Produzent, ist beides. Künstler und Showman, Dokumentarfilmer, Essayist und Spektakelbauer.

Und so ist auch Genesis 2.0 beides. Ein Kunstwerk und ein Kinospektakel mit Unterhaltungswert.

Der in Sibirien aufgewachsene Maxim Arbugaev war zuerst Profi-Hockey-Spieler, hat er gestern in Nyon erzählt. Dann bat ihn seine Schwester, eine Fotografin, sie als «Bodyguard» auf einen gefährlichen Trip auf die sibirischen Inseln zu begleiten. Sie wollte die Arbeit jener Männer dokumentieren, die sich im auftauenden Permafrost auf die Suche nach dem «weissen Gold» machten, Mammutskeletten und Kadavern und in erster Linie Mammutstosszähnen.

Arbugaev filmte ein wenig und fand Gefallen daran. Das Fotobuch seiner Schwester erschien und die Geschichten um spektakuläre Mammutfunde, den Elfenbein-Schwarz- und Weltmarkt und das russische Mammut-Museum tauchten immer häufiger in den Medien auf.

Insbesondere der Traum des Kurators des Mammutmuseums, eines Tages eine noch lebende Zelle in einem der gefrorenen Mammutkadaver zu finden und daraus ein Mammut klonen zu lassen, hat die öffentliche Phantasie beflügelt.

Bei Christian Frei war es die Lektüre des Buches des Harvard Gentech-Gurus George M. Church, die sich mit Arbugaevs Mammut-Jäger-Geschichten verband. Plötzlich habe es wieder einmal «Klick» gemacht und er habe gewusst, worum sich sein nächster Film und die nächsten vier Jahre seines Lebens drehen würden, erzählte Christian Frei gestern nach der Premiere.

Das Konzept, das Frei mit Arbugaev aushandelte, war zugleich simpel und komplex. Die Knochenarbeit der Mammutjäger und der Klon-Traum des Mammut-Museumskurator (dessen Bruder einer der Expeditionsteilnehmer war), sollte die traditionelle Seite des Vorgehens illustrieren, das Klonen aus vorhandenem Erbgut.

Frei dagegen würde den Schöpfungsträumen der neuen Gentechnologen nachgehen, den Basteltreffen des Wissenschaftsnachwuchses in Kalifornien, dem industriellen Klonen von Schosshunden beim koreanischen Spezialisten und der Arbeit der weltgrössten Genbank in China.

Damit treffen in Genesis 2.0 die Hoffnungen der «Rekonstruktionisten» auf die durchaus grössenwahnsinnigen Träume der neuen Schöpfer, jener Genom-Bastler, die überzeugt sind, die Baupläne des Lebens nicht nur lesen, sondern bald auch selber schreiben zu können.

Das ist eine komplexe Materie für einen Film und ohne Erklärungen und vereinfachte Darstellungen nicht in zwei Stunden abzuhandeln. Aber es gelingt Frei erstaunlich gut, die abenteuerlich spektakulären Bilder der modernen Goldschürfer auf den sibirischen Inseln mit den Erklärungen, Deklarationen und Selbstpromotions-Feldzügen der Vorkämpfer der nächsten technologischen Weltrevolution zu verbinden.

Wenn der chinesische Institutsleiter lächelnd erklärt, Gottes Schöpfung sei nicht perfekt, aber nun habe man die Technologie, um sie besser zu machen, kriegt der durchschnittlich gebildete Westler den Mund nicht mehr zu vor Verblüffung. Und wenn die PR-Frau der Gen-Bank auf die Frage nach den ethischen Implikationen der pränatalen Selektions-Diagnostik mit absolutem Unverständnis reagiert und einem Gesichtsausdruck, der von blank zu mitleidig wechselt, dann packt das metaphysische Gruseln noch die letzte Zuschauerin im Kinosaal.

Genesis 2.0 ist ein Spektakel für die grosse Leinwand, mit, wie meist bei Christian Frei, ungebremst pathetischem Musikeinsatz und einigen Selbstinszenierungen des nachdenklich sinnierenden Regisseurs, etwa beim Laptop-Blick auf existierende Schimären wie dem gentechnisch hergestellten «Zorse», der Kombination von Pferd und Zebra, oder einem «Liger», der Schnittmenge aus Tiger und Löwe, die alle schon gebastelt und zum Leben gebracht wurden.

Aber nach zwei Stunden eintauchen in eine Welt der irrwitzigen Spannweite, dem Kontrast zwischen der gefährlich konkreten und zugleich absurden Arbeit der Schürfer in Sibirien und jener der skrupel- und bedenkenlosen Gentechnokraten im Rennen um die nächste industrielle Revolution, kommt man zugleich atemlos, erschrocken und überwältigt wieder ans Tageslicht. Und das ist eine gute Bilanz für einen Dokumentarfilm, der gezielt auch «Art» ist, Kunst.

  • SRF ist Koproduzent von Genesis 2.0
  • Der Frenetic-Filmverleih bringt Genesis 2.0 im Herbst in die Deutschschweizer Kinos

Kommentar verfassen