Cannes 18: COLD WAR (Zimna wojna) von Paweł Pawlikowski (Wettbewerb)

Joanna Kulig (Zula) und Tomasz Kot (Viktor) in ‚Zimna wojna‘ © filmcoopi

Mit Ida, seiner in wundervollem Schwarzweiss erzählten Geschichte einer angehenden Nonne in Polen gewann Pawlikowski 2014 den Oscar. Ida war weniger eine Geschichte um Glauben und Vertrauen, als um Wissen und Entdecken. Die Novizin stösst, kurz bevor sie ihr Gelübde ablegen soll, auf die dunkle Familienvergangenheit in der Besetzungszeit.

Cold War, Pawlikowskis neuer Film hat einiges gemeinsam mit Ida. Wieder filmt Lukasz Zal, einer der beiden Ida-Kameramänner, in dem gleichen hypnotisch-cremigen Schwarzweiss. Das Bild ist im klassischen Akademie-Format und erinnert damit an die Zeit, in der die tragische, stürmische, unmögliche Liebesgeschichte von Zula und Wiktor ihren Anfang nimmt.Die ersten Bilder kommen nach den ersten Tönen. Zuerst ist da ein schrilles Tröten zu hören, es entpuppt sich als der Klang einer Art Dudelsack. Der Mann, der da bläst, schaut ungerührt und irgendwie teilnahmslos in die Kamera, ebenso der Sänger, über den der Schwenk dann führt, bis zu einem Jungen in Fellmütze.

Das Jahr ist 1949 und Wiktor (Tomasz Kot) ist mit Irena (Agata Kulesza) und dem Funktionär Kaczmarek (Boris Szyc) im ländichen Polen unterwegs, in einem klapprigen Bus. Sie sammeln Volksweisen und Lieder, der winterliche Weg führt immer wieder an Spuren des vergangenen Krieges vorbei, einer zerbombten Kirche etwa.

Das Trio ist, wie sich schnell zeigt, nicht aus musikethnolgischem Interesse unterwegs, sondern um eine Folklore-Truppe aufzubauen. In einem grossen ehemaligen Landgut versammeln sie junge Männer und Frauen zum Vorsingen und Vortanzen.

Agata Kulesza and Joanna Kulig in ‚Zimna wojna‘ © filmcoopi

Die Idee dahinter ist wohl, Polen wieder eine nationale Identität zu geben, mit der Volksmusik daran zu erinnern, was die Menschen verbinden könnte. Aber Kaczmarek hat opportunistischere Pläne.

Zunächst aber gilt es, aus den jungen Menschen eine funktionierende Truppe zu bilden. Und dabei stösst Wiktor auf die eigenwillige Zula (Joanna Kulig), blond, herausfordernd abweisend, hart und gewitzt. Sie tut sich schnell mit einem anderen Mädchen zusammen, um ein Volkslied als Duett vorzutragen, und ist eben so schnell bereit, mit einem Schlager aus einem sowjetischen Kinofilm Eindruck zu schinden.

Wiktor ist hingerissen, Irena sehr skeptisch. Zumal Zula auf Bewährung zugelassen wurde, sie hat ihren Vater mit einem Messer traktiert. «Er hat mich mit meiner Mutter verwechselt und ich habe ihm mit dem Messer den Unterschied gezeigt», erklärt sie Wiktor später trotzig.

Da ist er ihr längst verfallen. Und sie ihm.

Joanna Kulig als Zula in ‚Zimna wojna‘ © filmcoopi

Bloss ist das nicht der Anfang einer wundervollen Freundschaft. Sondern der Beginn einer zerstörerischen Leidenschaft, die sich über die nächsten fünfzehn Jahre, Berlin, Paris, Jugoslawien und viele präzise, perfekte filmische Ellipsen hinziehen wird.

Pawlikowski ist ein Meister der Auslassung. Jede der Sequenzen des Films spielt woanders, oft auch ein, zwei Jahre später. Und stets erfährt man völlig natürlich und beiläufig, was unterdessen passiert ist – ohne Erzählung, einfach über die aktuelle Konstellation.

Denn die Volks-Gruppe wird zu einer Erfolgsgeschichte in Warschau und bald dient Kaczmarek sie den Sowjets als Propagandavehikel an. Fortan singen die Männer und Frauen auch über Stalin und Volkswirtschaft und gehen auf Tournee in die Bruderstaaten, unter anderem Ost-Berlin.

Wiktor erträgt das nicht und flüchtet in den Westen. Zula, die ihn begleiten sollte, bleibt freiwillig zurück. Schon viel früher hat sie Wiktor erklärt, sie werde immer zu ihm gehören. Aber sie bespitzle ihn auch im Auftrag von Kaczmarek.

Zula arrangiert sich, sie versteht zu manipulieren und zu überleben.

Wiktor überlebt seinerseits in Paris als Jazzpianist, Arrangeur und Filmmusiker.

Bis Zula plötzlich in Paris auftaucht.

Paweł Pawlikowski hat Cold War seinen Eltern gewidmet, die Hauptfiguren tragen ihre Namen. Und die selbstzerstörerische, untrennbare, unvereinbare Beziehung der beiden war offenbar auch die seiner eigenen Eltern.

Damit bekommt natürlich auch der Filmtitel eine doppelte Bedeutung. Während die Folkloretruppe ein Instrument der Propaganda im kalten Krieg geworden ist (ein effektives, das auch Bulgarien, Rumänien und andere Staaten mit Erfolg eingesetzt haben – man denke an die «Voix bulgaires» oder den Panflöten-Hype der 70er Jahre), ist die Beziehung zwischen Zula und Wiktor eine des gegenseitigen Misstrauens, des permanenten Kampfes, ohne Hoffnung auf Resolution oder Erfüllung.

Das alles macht diesen Film zu einem enorm dichten, befriedigenden und strukturell melodramatischen Ellipsen-Drama mit viel Musik, Jazz, wundervollen Bildern und Figuren, die mehr Kino sind als Alltag, bigger than life.

Während das Setting an Casablanca erinnert, weckt die Ausbildungsstätte für die Tänzerinnen und Sänger am Anfang Assoziationen an den eher kalten US-Sowjet-Thriller Red Sparrow. Nicht zuletzt auch darum, weil Joanna Kulig als Zula eine ähnliche Ausstrahlung hat wie Jennifer Lawrence.

War Ida ein Film aus einem einzigen ästhetischen Guss, wirkt Cold War nun eher wie eine Serie von musikalisch komponierten, strengen, fliessenden Miniaturen. Und die Ellipsen in der Erzählweise sind die versteckten Peitschenschläge, welche den Film vorantreiben.

Cold War ist ein Film, den man immer wieder schauen kann – wie Casablanca, aber (auch) aus anderen Gründen.

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