Cannes 18: LE LIVRE D’IMAGE von Jean-Luc Godard (Wettbewerb)

Der Mythos Godard ist unzerstörbar, daran wird auch die jüngste Iteration seines späten Oeuvres nichts ändern. Fünfzig Jahre nach der Rebellion der Kinobilderstürmer in Cannes gibt sich der ewige Revolutionär so kompromisslos wie (fast) eh und je.

«Ich werde immer auf der Seite der Bombenleger sein», erklärt seine doch mittlerweile etwas brüchig gewordene Autoritätsstimme sinngemäss im Verlauf seiner jüngsten Bild- und Ton-Kaskade.

Aber abgesehen davon ist Godards so überraschend brav betiteltes Bilderbuch die Weiterführung seines Gedanken-, Musik- und Bilderwirbels. Er nimmt kaum neue Fäden auf, beschwört den zwingenden Niedergang des imperialistischen Europa und – ironisch und mit Rückgriff auf Alexandre Dumas – das glückliche Arabien.

Vierundachtzig Minuten lang holt er assoziativ die Bilder aus seinem Kopf, die da unverrückbar archiviert scheinen. Eine Filmszene nach der anderen montiert er aneinander, Zugfahrten, Landschaften, menschliche Interaktionen: Godards Bilderfundus scheint unerschöpflich. Aber zeitlich eingegrenzt. Im Wesentlichen hält er sich an seine ganz persönliche Histoire(s) du Cinéma, hin und wieder ergänzt durch einen Youtube-Clip von Al Jazeera, die Mobiltelefon-Aufnahme von Anne-Marie Miévilles Hund oder die eine oder andere Sequenz aus einem trigon-Film von vor tausend und zwei Nächten.

Montiert ist das wie am Küchentisch, vielleicht gar am Computer. Abrupt, gezielt amateurhaft, mit den gleichen Musikzitaten, – Explosionen und -Vignetten, die er seit vielen Jahren einsetzt. Seine Stimme schnarrt über mehrere Tonkanäle, mal von links, dann von rechts und dann wieder, mitten im Satz, von vorne. Godard macht sich lustig mit/über dem/den Surround-Sound.

Wer sein Werk und seine Biografie kennt, wird sich selten langweilen in diesem Livre d’image. Wenn man nicht damit beschäftig ist, die Filmausschnitte zu identifizieren, folgt man Godards Gedankenketten, versucht sie zu verknüpfen und zu organisieren. Auch darüber mokiert sich dieser Film, ist er doch, markiert von Bildern von Händen und Fingern, möglicherweise in fünf Kapitel eingeteilt.

Offene Polemik vermeidet Jean-Luc Godard, altersmilde, vielleicht. Keine Ausfälligkeiten über Israel oder die Juden etwa. Der Satz mit den Bomben gehört zu den radikalsten, und die Feststellung, dass – sinngemäss – wohl niemand daran zweifle, dass unsere politischen Führer samt und sonders Idioten seien, ergänzt die Parabel von einem machthungrigen Mann im einzigen Golfstaat, der kein Öl produziere.

Jean-Luc Godard ist nicht gekommen zur gestrigen Gala-Vorstellung seines Films, zur Pressekonferenz heute um elf Uhr lässt er sich via Face-Time zuschalten. Der Alte in Rolle, mit seinen Zigarren und seinen Ideen, seinem mürrischen Schalk und seinem singulären Status als Denkmal der absoluten Hochblüte der französischen Cinéphilie kann eigentlich nichts mehr falsch machen.

Nun fragt sich bloss noch, was die Jury dieses Festival damit anfangen wird. Immerhin läuft Le livre d’image im Wettbewerb. Eine Art Mini-Retrospektive der histoire(s) du cinéma selon God-Art.

  • Godards Pressekonferenz heute in Cannes via Facetime. Berührend und rührend:

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