Locarno 18: A LAND IMAGINED von Yeo Siew Hua (Wettbewerb)

«Eigentlich sind wir demnach jetzt in Malaysia!» meint die junge Frau zu Wang. Die beiden liegen auf dem Sand am Meer in Singapur, am Rande einer riesigen Landgewinnungsbaustelle.

Wang Bi, ein chinesischer Arbeiter, der für eine dieser Baustellen Lastwagen fährt, hat ihr erklärt, dass der benötigte Sand für den Ausbau der Singapurer Landzone von überall komme. Er werde in Malaysia angekauft, in Kambodscha, in Vietnam, zum Teil wohl auf dem Schwarzmarkt.

Es ist ein starkes Bild, das schon der Titel dieses Films evoziert. Und Yeo Siew Hua spielt damit in allen Variationen. Neben dem offensichtlichen, von Menschen gebauten Land, das der Stadtstaat Singapur dem Meer abkämpft – beziehungsweise abkämpfen lässt – gibt es weitere imaginierte Länder in diesem träumerischen Film.

Da ist die Ego-Shooter-Welt im Cybercafé, in dem sich Wang Bi seine Schlaflosigkeit um die Ohren schlägt.

Da sind die Welten, von denen der Polizeidetektiv Lok als Kind geträumt hat, und die er dann als Erwachsener in der Realität angetroffen hat. Und da ist die Welt von Wang Bi, in die der Polizist nun selber eintaucht im Traum, weil der Chinese und sein Lastwagen verschwunden sind.

In Anlehnung an die britische Fernsehserie könnte A Land Imagined auch «The Dreaming Detective» heissen. Der sanfte, melancholische Polizist erinnert an Filmfiguren von Wong Kar Wai, der ganze Film auch ein wenig an den frühen Wim Wenders.

Es ist eine bestechende Mischung aus Mystery-Thriller, dokumentarischem Einblick in die ausbeuterische Welt dieser Grossbaustellen, und verhaltener Liebesgeschichte.

Wang Bi trifft unter anderem unter den Arbeitern aus Bangladesh auf den hilfsbereiten Ajit, der Kopf und Kragen riskiert, weil er unter den Arbeitern immer wieder Solidarität einfordert und sogar Streiks organisiert. Und im Cybercafé trifft er eben auf die junge Frau, welche da Dienst schiebt zwischen den Computern.

Wang Bis Geschichte wird in einer Art Rückblende erzählt, die wiederum als Traum des Polizisten eingeführt wird. So entsteht eine Detektiv-Rahmenhandlung um das Verschwinden von Wang Bi, der seinerseits das Verschwinden von Ajit aufzuklären versuchte.

Dass die Baufirma die Pässe der Arbeiter einzieht, um ihre Abreise vor Ablauf der vereinbarten Zeit auf der Baustelle zu verhindern, ist dabei nur eine von vielen illegalen und ausbeuterischen Machenschaften, die der Film so neben bei zeigt.

A Land Imagined wird seinem Titel gerecht, auch wenn da mehr als nur eine Welt imaginiert wird. Alle beiben sie fragmentarisch, genau so wie die filmische Realität, die wir immer nur ansatzweise zu fassen bekommen.

Musik und Bilder schaffen das Kunstück, immer wieder dokumentarisch und entrückt zugleich zu wirken, der Film träumt sich von Figur zu Figur, von Realität zu Realität und von Vorstellung zu Vorstellung. Starkes Kino in kompakten 95 Minuten.

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