WOLKENBRUCH
von Michael Steiner

Joel Basman und Noémie Schmidt © dcm

Die seltsame Dominanz der «jiddische Mame» über ihre jüdischen Söhne, ob orthodox oder gemässigt, ist ein heiss geliebtes literarisches und filmisches Klischee.

Thomas Meyers Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» von 2012 hat dem Komplex wenig Neues beigefügt, aber das Buch wurde zum fröhlichen Bestseller. Und nun gibt es die Verfilmung dazu, kurz und knackig mit Wolkenbruch betitelt und mit Joel Basman in der zentralen Rolle. Heute hat der Film von Michael Steiner seine Premiere am Zürich Film Festival.

Über das Klischee der jüdischen Mutter wurde wohl schon eben so viel publiziert, wie damit gespielt wird. Ob die angebliche Dominanz damit zusammenhängt, dass das Judentum über die mütterliche Linie vererbt wird, ist dabei auch spekulativ.

‚Portnoy’s Complaint‘ von Philip Roth, Poster der Verfilmung von 1972

Der grosse US-Schriftsteller Philip Roth hat die Nöte des jüdischen Sohnes mit «Portnoys Beschwerden» 1969 zu einer literarischen Frechheit gemacht. Und in Woody Allens Film Oedipus Wrecks (Teil der New York Stories von 1989) droht Sheldons jüdische Mutter auch schon mal Godzilla-mässig direkt vom Himmel über New York herab.

Mae Questel und Woody Allen im ‚Oedipus Wrecks‘ Segment der ‚New York Stories‘ von 1989

Da sind die Zwickmühlen von Mordechai «Motti» Wolkenbruch in Thomas Meyers Roman dann doch ein wenig kleiner. Seine Mutter versucht, den scheuen Sohn mit geeigneten jüdischen Mädchen zu verkuppeln. Während er als Student zunehmend fasziniert ist von einer nicht-jüdischen Kommilitonin – einer Schickse.

Michael Steiners Filmfassung der Geschichte konzentriert sich auf die bewährte Komödien-Dramaturgie mit überzeichneten Figuren. Aber Steiners grosser Trumpf ist Joel Basman. Dem jungen Schauspieler gelingt es, seinem durchaus frommen Motti ein rebellisches und tragisches Potential zu geben, das einen vom ersten Moment mit all den Klischee-Situationen versöhnt. Zumal Motti das Publikum des öfteren direkt anspricht.

Dafür darf dann die Mutter auch schon mal lautstark durchdrehen, etwa als ihr Sohn seine nicht-jüdische Uni-Kollegin zum ersten Mal nach Hause bringt: «A Schickse!? Ich bring dach um!»

Familie Wolkenbruch mit der Mame (Inge Maux) im Zentrum © dcm

Die geschickte Dramaturgie des Filmes verschachtelt Mottis Gedanken- und Vorstellungswelt flüssig mit seiner Realität und so hat es dann auch Platz für echte Verzweiflung, als sich das Zerwürfnis mit seinen Eltern abzeichnet.

Der Charme des Buches verdankt sich zu guten Teilen der Kombination von Jiddisch und Deutsch, und diese Verschränkung wollte auch Regisseur Michael Steiner unbedingt beibehalten – so natürlich wie möglich. Das heisst: Ohne Untertitel.

Die jiddischen Dialoge, oder was dafür durchgeht, sind so einfach gehalten, dass sie ohne weiteres verständlich bleiben. Und weniger selbsterklärende Ausdrücke, wie «Tuches» für den Hintern, kann Motti seiner angebeteten Laura übersetzen, auch zugunsten des Kinopublikums.

Das Gefühl, man verstehe tatsächlich Jiddisch, ist wahrscheinlich so trügerisch wie das unserer deutschen Nachbarn, wenn sie bei den eingedeutschten Emil-Nummern seinerzeit überzeugt waren, Schwizzerdütsch zu verstehen.

Einen kleinen Bruch erlebt man dann im Kino, als seine Eltern Motti nach Israel schicken, in der Hoffnung, er möge dort von der Verwantschaft passend verkuppelt werden: Die englischen und hebräischen Dialoge in Israel sind natürlich untertitelt – und fallen darum auf.

Udo Samel als Vater Wolkenbruch ist rührend, Inge Maux als Mame eine grosse Knallcharge, aber wunderbar. Die meisten anderen Figuren, insbesondere Noémie Schmidt als schöne Schickse Laura, sind allerdings auf ihre dramaturgische Funktion reduziert.

Sunnyi Melles als Frau Silberzweig mit Motti (Joel Basman) © dcm

Das macht aber nichts, denn die Seele des Films ist und bleibt Joel Basman. Seinem Motti nimmt man die Nöte und die Ernsthaftigkeit ab, das Suchen, und das Wünschen.

Basmans Mordechai ist keine Woody Allen Figur – auch wenn sich das Drehbuch einen Woody Allen Gag nicht verkneifen kann. Motti Wolkenbruch ist ein junger Mann auf der Suche nach sich selber, nach seiner Freiheit und seiner Verantwortung. Und so macht Basman aus der professionell und konventionell getakteten Komödie mitunter ein richtig rührendes kleines Drama.

Am ZFF ist Wolkenbruch am 2. Oktober noch zweimal zu sehen. Ab 25. Oktober ist der Film dann regulär im Kino.

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