SFT19: IMMER UND EWIG von Fanny Bräuning

Niggi und Annette Bräuning © frenetic

Ein Wohnmobil für sich und seine tetraplegische Frau Annette, das ist einer der Träume, die Niggi Bräuning mit Hartnäckigkeit realisiert hat.

Ihr Vater weigere sich, ihre Mutter als schwerbehindert zu betrachten, sagt Filmemacherin Fanny Bräuning. Sie könne schliesslich essen, denken und kommunizieren. Für Niggi ist Annette noch immer die Frau, die ihn 1971 geheiratet hatte, die schöne Grafikstudentin, die dem zukünftigen Fotografen an der Basler Kunstgewerbeschule aufgefallen war – und er ihr.

Die Tochter dagegen kennt ihre Mutter eigentlich nur gezeichnet von ihrer multiplen Sklerose, welche bald nach der Geburt ihrer jüngeren Schwester diagnostiziert wurde. Da war Fanny Bräuning sechs Jahre alt und erlebte über Jahre hinweg, wie ihre Mutter in ihrer Beweglichkeit immer weiter eingeschränkt wurde. Bis sie nach einem toxischen Schock vor bald zwanzig Jahren schliesslich fast vollständig gelähmt blieb.

Niggi Bräuning gab seinen Beruf auf und verlegte sich aufs Tüfteln, basteln und motivieren. Für sich selbst und für seine Frau.

Niggi Bräuning (mit Kamera) © frenetic

Nun hat Fanny Bräuning ihre siebzig Jahre alten Eltern auf eine ihrer Reisen im ausgeklügelten Wohnmobil begleitet, mit Kamera und Aufnahmegeräten und wohl auch in der Hoffnung, das eigene Mutterbild mit dem Blick des Vaters auf seine Frau ergänzen zu können.

Fanny Bräuning hat schon einmal als Filmemacherin auf ihre Eltern geblickt. Das war ihr Diplomfilm 1999, Meine Mutter, ein Kurzdokumentarfilm, entstanden kurz nach jenem heftigen Schub, der ihre Mutter in ein vorübergehendes Koma gestossen hatte.

Neun Jahre später hat Fanny Bräuning mit No More Smoke Signals, ihrem Dokumentarfilm über die Lakota und ihr Reservationsradio, die wichtigsten Schweizer Filmpreise gewonnen.

Wenn die Basler Filmemacherin, unterdessen selber Mutter und in Berlin lebend, nun für Immer und Ewig mit ihren Eltern auf die Reise geht, ist der Film zunächst vor allem ein Mutmacher.

So werden die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer Immer und Ewig erleben: Als berührende Geschichte einer grossen Liebe zwischen zwei Menschen, welche grösste Hindernisse überwindet.

Aber der Film ist viel mehr. Mit ihrer Suche geht Fanny Bräuning an die Grenzen. An ihre eigenen wahrscheinlich, aber auch an die ihrer Eltern.

Denn die grossen Fragen, die ergeben sich im Verlauf der Gespräche mit ihrer Mutter, mit ihrem Vater fast nebenbei:

Fanny Bräuning mit ihrem Vater Niggi © frenetic

Wenn die Tochter den Vater fragt, ob er sich denn nie ein anderes, leichteres Leben gewünscht hätte. Und er, sichtlich unwirsch, die Frage vom Tisch wischt, mit dem Hinweis, er wisse ja nicht einmal, ob seine Frau auch ohne ihre Krankheit bei ihm geblieben wäre.

Wenn Annette Bräuning durchblicken lässt, dass sie die Reisen im Bus nicht nur wunderbar, sondern manchmal auch sehr anstrengend erlebt, nicht zuletzt, weil sie unterwegs rund um die Uhr auf die Hilfe ihres Mannes angewiesen ist, während sie zuhause doch auch von Spitex, Haushaltshilfe und Therapeutinnen unterstützt wird.

In einer Szene geht Niggi mit seiner Kamera auf Sujet-Suche und lässt seine Frau im Bus zurück, liebevoll auf Kissen gebettet und mit Blick über den ganzen Platz – aber die von ihr angedeutete Panik, dass sie ja nie wisse, ob er auch wieder komme, ob ihm nicht allenfalls etwas passieren könnte, teilt sich unwillkürlich mit.

Und schliesslich vermittelt der schöne, manchmal schneidende und erschreckende Film eine Dynamik, die jeden und jede von uns ins Herz trifft: Wie tut man sich und dem anderen gut? Wo sind die Grenzen gegenseitiger Rücksichtnahme? Was nimmt man für sich auf sich, und was für den anderen?

Die Tochter sieht, wie viel Energie es ihren Vater kostet, den Lebenswillen für zwei aufrecht zu erhalten. Und der Film zeigt unmissverständlich, wie viel Willen Annette Bräuning aufbringen muss, um Lebensfreude und Dankbarkeit auch zu kommunizieren.

Niggi und Annette Bräuning © frenetic

Paradoxerweise sind es nämlich ausgerechnet die raren disharmonischen Szenen und Momente, welche die anderen, von viel Willen getragenen, tatsächlich validieren. Am stärksten vielleicht dort, wo Niggi seiner Frau die Haare bürstet. Von aussen gesehen fast grob, und heftig in alle Richtungen. Sie protestiert, wir haben längst begriffen, dass ihr das Aussehen und ihr Gesicht, die letzte Kommunikationsmöglichkeit, sehr wichtig sind. Zugleich kommt die Ahnung auf, dass auch hier ein persönliches, eingespieltes Ritual abläuft, vielleicht gar die Rollenverteilung als gezielte Farce zur gegenseitigen Selbstvergewisserung.

Am Ende des Films bleibt der starke Eindruck von zwei Menschen, die sich gegenseitig helfen, das tatsächlich Beste aus ihrem Leben zu machen. Und die Ahnung einer Tochter, dass sie dabei immer etwas aussen vor bleiben wird. Denn der Drang von uns Kindern zielt ja stets auf mehr Unabhängigkeit. Während die grosse Sehnsucht der Liebe das Gegenteil sucht.

Vorführungen an den Solothurner Filmtagen:
Samstag, 26. Januar, 20.30 Uhr, Landhaus
Dienstag, 29. Januar, 14.45 Uhr, Landhaus

Kinostart Deutschschweiz:
31. Januar 2019

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