NYON 19: PASSION – ZWISCHEN REVOLTE UND RESIGNATION von Christian Labhart

© Look Now!

Die Auswahlkommission der Solothurner Filmtage wollte Christian Labharts Dokumentarfilm im Januar nicht zeigen. Das Dokumentarfilmfestival Nyon hat Passion als einzigen Schweizer Beitrag in den internationalen Wettbewerb genommen.

Beide Entscheide sind nachvollziehbar.

An der Welturaufführung an den «Visions du réel» in Nyon erwies sich Christian Labharts Film als bildgewaltiger Zeitraffer, als generalisierte Lebensbilanz einer Generation. Aber auch als Vitaparcours durch die Chiffren der Weltgeschichte ab 1968.

Den Einstieg macht Bertolt Brecht («An die Nachgeborenen»): „Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!“  Und der gleiche Brecht wird am Ende den Film auch wieder schliessen.

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Christian Labhart erinnert sich im Off-Kommentar in persönlicher ich-Form (gesprochen u.a. von Thomas Sarbacher) an seine eigenen Entwicklungstationen, 1968, die Aufbruchstimmung, die Demonstrationen, den Kampf gegen die AKW, für ein AJZ, den RAF-Terrorismus.

Labharts Biographie als engagierter Junglehrer, als Teil einer idealistischen Bauernhof-Gemeinschaft mit Gleichgesinnten und ohne Chef, das Scheitern, die Familie, die Kinder, das Einfamilienhaus, das alles kommt fast beiläufig, bescheiden. Und irgendwann die Frage: Bin ich ein Spiesser geworden?

Fünfzig Jahre Gesellschaftsgeschichte in achtzig Minuten: Logisch, dass da gerafft werden muss. Zumal Labhart vor allem auf die Kraft der Bilder setzt, die er mit dem verstorbenen Pio Corradi und Simon Guy Fässler aus allen möglichen Ecken der Welt geholt hat.

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Da zeigen grossartige Tableaus in Breitformat die Absurdität eines auf Konsum und Spektaktel ausgerichteten Lebens. Phantastische Ausblicke auf zerfallende Monumente des Kommunismus in Bulgarien den Niedergang der Hoffnung. Zerbrechende Eismassen die Zerstörung der Welt.

Und immer, wenn die Hoffnungslosigkeit augenfällig ist, folgt der Schnitt auf eine konzertante Aufführung von Bachs Matthäus-Passion, in Schwarz-Weiss, mit klaren Tönen, hellen Stimmen, einer planvollen, perfekten Ordnung.

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Die grossen, mit viel Aufwand und Reisen aus aller Welt geholten Bilder sind monumental filmisch. Labhart zeigt sich beeindruckt von Godfrey Reggios Koyaanisqatsi von 1982, jenem bildgewaltigen, seltsam raunenden, auf optische und akustische Überwältigung setzenden Film, der zu einem Schlüsselwerk der weltweiten ökologischen Bewegungen wurde. Und zu einem Steinbruch der filmischen Werbeästhetik im Dienste aller Konsumprodukte seither.

Das Problem von Labharts Passion liegt nun allerdings nicht so sehr in der Raffung, und nur zum Teil in der Wiedererkennbarkeit eines Teils der so aufwändig und gekonnt gedrehten Tableaus (ein industrieller Schlachthof bleibt ein Schlachthof, ob er in Buenos Aires gedreht wurde oder aus Stock-Bibliotheken eingekauft). Das Problem ist Labharts Zurückhaltung.

Ob aus Bescheidenheit, Feigheit, Kalkül oder aus unserer deutschschweizerischen Selbstverzwergung heraus: Labhart streift seine Biografie meist nur beiläufig. Dafür holt er mit Gusto die ihn prägenden Bücher aus seinem Büchergestell, lässt neben Brecht auch Kafka, Dorothee Sölle, Slavoj Žižek oder Ulrike Meinhof ihre alles andere als unbekannten Positionen wiederholen.

Das macht Passion zu einem stellenweisen arg absehbaren Kompendium, vor allem, wenn dann auch noch jene Bilder kommen, die man nicht mehr bräuchte: Die rauchenden Zwillingstürme, oder der feixende Donald Trump.

Dass ein Filmemacher grossartige Bilder sucht, mag man ihm nicht ankreiden. Dass er sich hinter ihnen und seiner Wechseldramaturgie aber wegduckt, das ist schade. Denn anstelle der wohlbekannten Wegmarken der Globalisierung bräuchten wir gerade die Einzigartigkeit einer Biografie, die der unseren ähnlich ist: Woran scheiterte die Bauernhof-Utopie der Freunde? Wie kam es zur Kleinfamilie mit Kindern im Einfamilienhaus?

Passion – Zwischen Revolte und Resignation passt gut in den internationalen Wettbewerb eines Dokumentarfilmfestivals. Hinter den gewaltigen Bildern stecken viel Arbeit und professionelles Können. Aber dahinter versteckt sich auch ein Filmemacher, der sich über anerkannte Erkenntnisse hinaus nicht wirklich aussetzt.

SRF hat diesen Film koproduziert
Kinostart Deutschschweiz: 18. April, ab 11. April Lunchkino
Ein Filmgespräch mit Christian Labhart wird gesendet in
Kontext vom 18. April auf SRF2 Kultur

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