THE LANDSCAPE AND THE FURY von Nicole Vögele

GRAND PRIX VISIONS DU RÉEL 2024

‚The Landscape and the Fury‘ von Nicole Vögele © Beauvoir Films

Wälder und Felder hinter diesem kleinen bosnischen Ort an der grünen Grenze zu Kroatien sind voller Minen aus dem Bosnienkrieg der 1990er Jahre. Und durch die gleichen Wälder und Felder kommen immer wieder gruppenweise Migrantinnen und Migranten, Flüchtlinge aus Afghanistan, Kurdinnen, ganze Familien mit kleinen Kindern.

Von der Grenzpolizei werden sie misshandelt, ausgeraubt, ihre Telefone zerstört – und zurückgeschickt, barfuss, ohne Hoffnung, ohne eine andere Möglichkeit, als es wieder und wieder zu versuchen. „THE LANDSCAPE AND THE FURY von Nicole Vögele“ weiterlesen

THE SONG OF OTHERS von Vadim Jendreyko

‚The Song of Others‘ &copy Vinca-Film

Das Lied der anderen zu singen. Das kann helfen, das Trauma zu überwinden. Das Lied der anderen, zusammen mit den anderen. Und mit den anderen das eigene.

Das Bild des Chores in Sarajevo kommt gegen das Ende von Vadim Jendreykos Dokumentaressay. Da singen Muslimas mit Christen, Serbinnen mit Kroaten, vielstimmig, harmonisch und mit Hingabe Lieder, die vor ein paar Jahrzehnten im Krieg mit dem Feind assoziiert worden waren. „THE SONG OF OTHERS von Vadim Jendreyko“ weiterlesen

Z–S–C–H–O–K–K–E von Matthias und Adrian Zschokke

Zschokke (Hanspeter Müller-Drossaart) bei der Königin von Bayern (Ingrid Kaiser) © R-Film GmbH

Einen Kinofilm über das Leben und Wirken ihres Vorfahren Johann Heinrich Daniel Zschokke (1771-1848) wollten seine in Bern geborenen Urururenkel machen. Als grosses, ironisch-ernsthaftes Kostümdrama. Vielleicht.

Dass sie das Budget dafür nicht zusammengekriegt haben,  das erweist sich jetzt als Glücksfall. Denn die hinreissende Dokumentarfeier, die sich jetzt  Z–S–C–H–O–K–K–E buchstabiert, die ist so meta, metaphorisch, metamorphotisch, metadynamisch, da ist jeder Widerstand zwecklos. „Z–S–C–H–O–K–K–E von Matthias und Adrian Zschokke“ weiterlesen

YOUTH (SPRING) Quingchun von Wang Bing

© Arte France Cinema

Dreieinhalb Stunden Dokumentarfilm über Textil-Sweatshops in China, das klingt erst mal ein wenig anstrengend. Tatsächlich ist der Film von Wang Bing aber noch anstrengender als erwartet.

Das ist kein Dokumentarfilm über Ausbeutung, globale Produktionswege, Billigtextilien oder menschenverachtend optimierte Abläufe, jedenfalls nicht im längst zur Gewohnheit gewordenen Infotainment-Sinne. „YOUTH (SPRING) Quingchun von Wang Bing“ weiterlesen

GRASSHOPPER REPUBLIC von Daniel McCabe

‚Grasshopper Republic‘ © Taskovski Films Ltd

Der Filmtitel lässt ahnen, warum diese Männer unter der Leitung eines offensichtlich sehr entschlossenen Unternehmers einen Truck nach dem anderen mit Material beladen.

Wir sind in Uganda, am Rande einer grossen Stadt, aber diese bunte Truppe fährt aufs Land hinaus, an den Fuss der Berge, mit Wellblech, Generatoren, alten Ölfässern und hunderten von Säcken. „GRASSHOPPER REPUBLIC von Daniel McCabe“ weiterlesen

WHILE THE GREEN GRASS GROWS von Peter Mettler

GRAND PRIX VISIONS DU RÉEL 2023

© Maximage

Die Filme des Kanada-Schweizers Peter Mettler sind visuelles Yoga. Entspannend spannend und einladend. Als Kameramann ist Mettler, so sagt er selbst, in jeder seiner Einstellungen präsent. Wer vor der Leinwand sitzt, wenn seine Bilder darüber fliessen, spürt auch genau das.

War etwa der tagebuchartige Gambling, Gods and LSD (2002, auf Playsuisse zu sehen) noch von vier Thesen (Mettler nennt sie «Filter») geprägt, ist sein jüngstes Werk noch stärker assoziativ, explorierend und neugierig. „WHILE THE GREEN GRASS GROWS von Peter Mettler“ weiterlesen

VERA von Tizza Covi und Rainer Frimmel

Vera Gemma und Asia Argento © Vento Film

In der schönsten Szene dieses unkategorisierbaren Filmes stehen Vera und Asia auf Römer Friedhof «Cimitero acattolico» vor dem Grab von Goethes Sohn.

Da steht tatsächlich auf dem Grabstein: «Goethe Filius». Kein weiterer Name, nichts zu seinem Leben, ausser, dass ihn der berühmte Vater überlebt hat: «Goethe Filius Patri Antevertens Obiit»

Die beiden Frauen können es nicht fassen.

Und die Kinozuschauer auch nicht. Denn Vera und Asia sind Freundinnen seit ihrer Kinderzeit. Veras Vater Giuliano Gemma war einer der grossen Stars des Italowestern, Asia Argentos Vater ist Dario Argento, Meister des Giallo. „VERA von Tizza Covi und Rainer Frimmel“ weiterlesen

RUÄCH – EINE REISE INS JENISCHE EUROPA von Andreas Müller, Simon Guy Fässler, Marcel Bächtiger

Am Ende ein grosses Fest © frenetic

Ein «Ruäch» ist einer, der nicht jenisch ist. Im französischen Dialekt ist das der «Gadjo». Nein, das sei eigentlich nie abwertend gemeint, erklärt Lisbeth Sablonier übers Mobiltelefon.

Dann seien er und Simon also auch «Ruäche», fragt Andreas Müller nach.

«Klar. Oder seid ihr jenisch? Eben.»

Die Abgrenzung von den anderen, das ist einfacher als die Definition der eigenen Identität. Vor allem, wenn die Abgrenzung in der Form von Ausgrenzung nur zu oft von den «anderen» ausgegangen ist.

Darum definiert der «Ruäch» im Filmtitel die Form dieses wunderbaren Dokumentarfilms. „RUÄCH – EINE REISE INS JENISCHE EUROPA von Andreas Müller, Simon Guy Fässler, Marcel Bächtiger“ weiterlesen

PURE UNKNOWN / Sconosciuti puri von Mattia Colombo & Valentina Cicogna

© Amka Films

Als «reine Unbekannte» bezeichnet Cristina Cattaneo jene Toten, für deren Identifizierung sich niemand zuständig fühlt. Die Mailänder Professorin für forensische Medizin kämpft seit Jahren für ein europäisches Gesetz, das die Staaten verpflichten soll, bei allen Toten die wichtigsten forensischen Erkennungsdaten zu erheben.

Also auch bei den Tausenden von Migrantinnen und Migranten, die nur noch tot geborgen werden, insbesondere aus dem Mittelmeer. „PURE UNKNOWN / Sconosciuti puri von Mattia Colombo & Valentina Cicogna“ weiterlesen

VEILLEURS DE NUIT / Nightwatchers von Juliette de Marcillac

Eine der freiwilligen „Maraudeuses“ © Dryades Films

Mit einem eindrücklich einfachen Film über freiwillige Flüchtlingshelfer wurde gestern das Dokumentarfilmfestival «Visions du réel» in Nyon eröffnet. «Nightwatchers» wirkt wie eine Antwort auf den Schweizer Oscar-Film «Reise der Hoffnung» von 1990.

Juliette de Marcillac kennt das Skigebiet des französischen Montgenèvre auswendig. Bei Tageslicht. Das Chalet ihres Grossvaters steht in dem kleinen Dorf am Hang unter der Grenze zu Italien.

Aber für ihren Film hat sie die Gegend bei Dunkelheit kennengelernt, mit einer Spezialkamera, bei Vollmond und Sternenlicht.

Denn schon das Leuchten eines Mobiltelefons kann die Freiwilligen verraten, die im Schnee und in der Dunkelheit in den steilen Hängen im Wald neben den Skipisten Flüchtende in Empfang nehmen und versuchen, sie heil an den ebenfalls ausschwärmenden Gendarmen vorbeizuführen. „VEILLEURS DE NUIT / Nightwatchers von Juliette de Marcillac“ weiterlesen