Der umstrittene Artikel 135 des Strafgesetzbuches eröffnet die Möglichkeit, auch den privaten Import von pornografischen oder gewaltverherrlichenden Filmen unter Strafe zu stellen. Wer Horrorklassiker wie Wes Cravens The Last House on the Left (1972) über einen ausländischen DVD-Versand bestellt, riskiert eine Anklage, wenn das Paket am Post-Zoll von übereifrigen, filmgeschichtlich unbewanderten Zöllnern geöffnet wird. Weil das Strafgesetzbuch relativ klar umschreibt, was an Gewalt und Pornografie verboten ist, bleibt bei wörtlicher Auslegung oft kein Spielraum mehr für künstlerische oder kulturell tradierte Ansprüche (wie das idiotische Debakel um die Wiederaufführung von Pasolinis Salò im Februar in Zürich gezeigt hatte). Im Tages-Anzeiger (Seite 57, Zürcher Unterland) von heute berichtet Verena Schneider von einem aktuellen Gerichtsfall. Ein Familienvater hat unter anderem den Romero-Klassiker Dawn of the Dead von einem deutschen Versandhändler kommen lassen (ein Film, der im übrigen auch der Schweiz erhältlich sein dürfte, zumindest das Remake). Aufgrund einer Meldung der Zollbehörde hat der Zürcher Staatsanwalt eine Hausdurchsuchung veranlasst und den Horrorfilmfan unter Anklage gestellt. Der Schweizer Strafrechtler Bernhard Rüdy hat die Verteidigung übernommen und auf Freispruch und Entschädigung plädiert. Hier ein Auszug aus dem Artikel (online leider nicht zugänglich):
Rüdy bemängelte, dass der Staatsanwalt aus allen Filmen lediglich wenige Minuten lange Szenen für seine Anklage herausgegriffen habe. So entstehe eine selektive Wahrnehmung, die aus dem Gesamtkontext herausgerissen werde. «Völlig unhaltbar» sei die Behauptung, die Filme entbehrten einer Handlung und seien kulturell wertlos. «Dieser Beweis müsste erst noch erbracht werden – die Staatsanwaltschaft hätte ein Gutachten einfordern müssen», kritisierte er. Auch Filme wie «Frankensteins Monster», «Nosferatu» oder Vampirfilme seien Horrorfilme mit Kultstatus. Rüdy erläuterte den kulturgeschichtlichen Hintergrund von Zombies, die laut Duden keine Menschen, sondern emotionslose Untote sind, die rein instinktiv handelten. Sie bedienten eine Urangst der Menschen vor Toten, die wieder zum Leben erweckt werden. «Daraus entstand ja auch die religiöse Totenwache, die nicht zuletzt zum Ziel hatte, einen allenfalls auferstehenden Toten erschlagen zu können», so Rüdy. Er zitierte den Sprecher des katholischen Mediendienstes, der erklärt habe, solche Filme würden mit einer «ironischen Distanz» und, weil sie nicht realistisch seien, «wie Comics» wahrgenommen. Allein weil dieses Genre nicht dem Massengeschmack entspreche, sei es nicht strafbar, so der Verteidiger. Die erwähnte sexuelle Szene sei zudem nicht pornografisch, da keine Penetration gezeigt werde. Der Anwalt führte weiter aus, die beschlagnahmten Filme seien frei erhältlich. Sie wurden im Kino gezeigt und von verschiedenen Fernsehstationen, auch in der Schweiz, mehrfach ausgestrahlt. Das Reclam-Buch «Horrorfilme» würdigt «Dawn of the Dead» als «Kritik an der modernen amerikanischen Wohlstandsgesellschaft», die «Chicago Sun Times» jubelte: «Einer der besten Horrorfilme, die jemals gedreht wurden.» (Tages-Anzeiger vom 17. Okt. 2007, S. 57)
Das Urteil wurde noch nicht eröffnet, aber eines zeigt diese Anklage wieder einmal ganz klar: Jede Universitäts-Videothek, die Cinémathèque in Lausanne oder auch ich und andere filmhistorisch versierte und interessierte Filmjournalisten riskieren im Prinzip immer wieder eine solche oder ähnliche Klagen der Staatsanwaltschaft. Nicht nur der Umstand, dass unsere Videotheken zwangsläufig möglicherweise inkriminierte Filme (zumal aus den 70er Jahren) umfassen, wir müssen uns ja auch grundsätzlich die Möglichkeit offen halten, überhaupt erst zu einem Urteil über solche Filme gelangen zu können – gerade wenn sie, wie in den letzten Jahren üblich geworden, aus den USA in aufpolierten und sterilisierten Remakes wieder auf unsere Leinwände schwappen, fast immer brutaler, dümmer und irrelevanter als die Originale.