Cannes: Tokyo!

Denis Lavant als Merde in Tokyo von Leos Carax
Denis Lavant als Merde in 'Tokyo' von Leos Carax

Episodenfilme sind in der Regel eher Festivalfutter als Kinokandidaten. Eine Ausnahme war die Pariser-Kiste Paris, je t’aime, und eindeutig eine Ausnahme ist die neue Tokio-Dreifaltigkeit von Michel Gondry, Leos Carax und Joon Ho Bong, die gestern hier in Cannes ihre Premiere hatte. Jeder der drei ohnehin schon eher schrägen Regievögel hat sich mit seinem jeweiligen Beitrag zu diesem Omnibus noch einmal selber übertroffen. Den Anfang macht Gondry, mit der Geschichte einer treusorgenden Freundin, die im Gefolge ihres Möchtegern-Filmautors in der Grossstadt langsam ihr Selbstverständnis verliert und sich – ihrem Selbstbild entsprechend – in einen Stuhl verwandelt. Das ist verspielt, komisch und poetisch wie meist bei Gondry, aber auch präzise und kompakt, wie sonst eher eben nicht bei Gondry. Die Episode vom ehemaligen Regiewunderkind Leos Carax dreht sich rund um ein von Denis Lavant gespieltes menschliches Monster, das aus der Kanalisation von Tokio auftaucht, Angst und Schrecken verbreitet, und sich schliesslich als rassistischer Eigenbrötler mit europäischem Einschlag entpuppt. Der Film ist so irr wie komisch und extrem provokativ auf jeder Ebene. Und den Abschluss macht der Koreaner Bong mit einer herzergreifenden Geschichte über einen Hikikomori, einem jener Menschen, die extremes Cocooning betreiben und jahrelang ihre Wohnung nicht verlassen, auf jeglichen menschlichen Kontakt verzichten. So ein Eigenbrötler verliebt sich in ein Pizza-Liefer-Mädchen, die sich allerdings selber als angehende Hikikomori entpuppt. Der Film nützt Katastrophen wie Erdbeben als Katalysatoren und ist so komisch wie rührend. Zusammen geben die drei Episoden ein reiches Bild der Stadt Tokio mit ihren nicht nur im Westen mythisch übersteigerten Sonnen- und Schattenseiten.

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