Cannes: Soderberghs 270 Minuten Che Guevara

Benicio del Toro ist Che
Benicio del Toro ist Che

Das war auf jeden Fall der längste Film im diesjährigen Wettbewerb, auch wenn post festum nicht ganz klar auszumachen ist, wozu Soderbergh diese Länge gebraucht hat. In der Erinnerung sind nun schon am nächsten Tag vor allem ein paar wenige, besonders eindrückliche Szenen geblieben, die wunderbare Kamera und die erstaunliche Ökonomie des Szenenaufbaus. Das Material wurde offenbar erst knapp für die Festivalvorführung fertig geschnitten, es machte gar der Witz die Runde, Soderbergh schneide den zweiten Teil fertig, während die ersten 135 Minuten im Kino laufen. Vorspann und Abspann gab es jedenfalls noch keinen, auch keine Credits. Dafür ausführliches aus zwei Perioden von Guevaras Leben. Die Tage des Guerillakampfes in Kuba, dazwischen Che in New York vor den United Nations. Und im zweiten Teil der verlorene Versuch, in den Bergen Boliviens den Triumph von Kuba zu wiederholen. Interessant ist Soderberghs Film in mehrfacherHinsicht, spannend dagegen selten, die meiste Zeit sogar relativ langweilig, mit Betonung auf relativ, denn ein Grundspannung entsteht gerade aus der Länge, der Gezogenheit. Das Elend der Revolutionäre in den Bergen Boliviens, ihre Probleme mit den Campesinos, den Menschen, die zu deren Befreiung sie eigentlich gekommen sind, das alles geht in die Knochen. Und doch: Wer The Motorcycle Diaries gesehen hat, oder die Dokumentarfilme von Richard Dindo oder Heidi Specognas Tania la guerillera, hat immer wieder Déja-vue-Erlebnisse. Wenn die 270 Minuten allerdings etwas schaffen, dann ist die zuerst die Entmystifizierung der Figur des Che, und dann, schleichend fast, die Verdichtung eines neuen, persönlichen Mythos, der mehr mit der Realität als mit der Revolutionsromantik zu tun hat. Einmal mehr ein höchst interessantes Soderbergh-Experiment, das aber weniger als isoliertes Werk zu wirken vermag, denn als Ausdruck eines Prozesses. Soderbergh probiert immer mehrere Dinge aus, diesmal war es, neben der experimentellen Erzählstruktur (er springt vor allem im ersten Teil immer hin und her zwischen New York und Kuba, zwischen vor der Revolution und der Zeit danach), eine neue digitale HD-Kamera. Soderbergh ist meist sein eigener Kameramann und was er hier mit dieser neuen, leichten Wunderkamera fertigbringt, ist verblüffend. Ob und vor allem wie dieses eigenartige Werk ins Kino kommen wird, ist wohl noch nicht entschieden. Wie der Schweizer Verleih den sperrigen Zweiteiler dem Publikum schmackhaft machen kann, hängt wohl nicht zuletzt vom aktuellen Echo hier in Cannes ab. Das schwärmerisch-jugendliche Feuer von «The Motorcycle Diaries» geht diesem Che jedenfalls gründlich ab. Die Geschichte ist so gründlich entschlackt wie die meisten Kampfszenen im ersten Teil, wo Soderbergh mit bewundernswerter Konsequenz auf die «Money Shots» verzichtet, das heisst, auf die Befriedigung, welche das gängige Kriegskino seinem Publikum vermittelt, indem Explosionen, Treffer, Auswirkungen der Aktion jeweils ausführlich und geniesserisch gezeigt werden. Soderbergh zeigt allenfalls, dass eine Aktion erfolgreich ist, eine Kugel ihr Ziel getroffen hat, dann folgt auch schon der Schnitt. Das ist eines der wirklich innovativen Elemente dieses Zweiteilers, ein gelungener Versuch, Kinogewalt zu «realisieren».

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