Cannes: Wim Wenders‘ Palermo Shooting

Wim Wenders Für die Franzosen ist er noch immer ein Kinogott, oder, noch besser: Einer der ihren. Für den Rest der Welt ist das unverständlich. Aber Wim Wenders bekommt am Filmfestival von Cannes wenn immer möglich den grössten Bahnhof. Heuer darf er mit seinem Palermo Shooting den Samstagabend bestreiten, den Galaabend vor der Preisverleihung am Sonntag. «Palermo Shooting» ist denn auch ein echter (Spät-) Wenders, ein Film voller wertvoller Gedanken und hölzerner Sätze, ein Film voller Bilder von ausgesuchter Gemacht- und Schönheit, eine Kompilation schöner Rock-Nummern. Campino von den «Toten Hosen» spielt einen erfolgreichen Fotografen in der Tradition von Antonionis Blow Up, dem der Tod aus Ingmar Bergmans Das siebte Siegel erscheint, in Gestalt von Denis Hopper ohne Augenbrauen. «Palermo Shooting» ist denn auch in aller Unbescheidenheit «Ingmar und Michelangelo» (die letztes Jahr am gleichen Tag gestorben sind) gewidmet. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich PS dem Thema des Bildermachens annimmt, unter anderem. Der von Campino gespielte Fotograf ist ein Apologet der totalen Künstlichkeit, er lässt seine grossformatigen Bilder von seinen Assistenten in wochenlanger Arbeit digital überarbeiten, setzt den Nachthimmel von Rio über Manhattan, synthetisiert seine Bilder aus dutzenden von Aufnahmen. Bis ihm der Tod, alias Denis Hopper, vorhält, die Fotografie, die ja eigentlich bisher vor allem ihm, dem Tod, bei der Arbeit zugeschaut hätte, habe mit dieser digitalen Manipulierbarkeit ihre Seele verloren und damit irgendwie der Fotograf auch die seine. Das ist starker Tobak von Wim Wenders, der neben George Lucas einer der ersten und vehementesten Verfechter des digitalen Kinos war. Aber die filmisch eingebetteten Gedanken kommen nicht von ungefähr im jetzigen Zeitpunkt, wo das CGI-Kino und die Computergames die grossen Leinwände der Welt zu übernehmen beginnen. Auch Steven Spielberg hat ja betont, er habe Indiana Jones 4 bewusst analog gedreht, weil Bluescreens für die Schauspieler und den Regisseur einfach nicht inspirierend seien. Die alten Männer werden nostalgisch, die einstigen Pioniere besinnen sich auf die grossen Werte, und das ist ja durchaus schön und ergreifend. Nur ist es im Fall von Wim Wenders und «Palermo Shooting» auch wieder sehr deutsch und thesenhaft, philosophisch raunend und dialogisch klobig. Wenders beherrscht die Bilder, nicht die Sprache. Das zeigt sich immer dann am deutlichsten, wenn im Film italienisch oder englisch gesprochen wird. Dann bekommen die Sätze eine Lebendigkeit, die ihnen im Deutschen abgeht. «Palermo Shooting» ist ein Film, der sich mit Leichtigkeit anschauen lässt, der einen auch mit Leichtigkeit bei sich behält, bis auf die wenigen Momente, in denen er unfreiwillig komisch wirkt. Aber er ist nicht der grosse Wurf, als der er sich gebärdet. Dafür ist er viel zu sehr Kompilation und Autozitat, ein Omnibus der Filmgeschichte und von Wenders‘ eigener Filmografie.

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