Cannes: Angelina Jolie als Dirty Harry?

Clint Eastwood und Angelina Jolie im Oton von der Exchange Pressekonferenz in Cannes heute. Wer es genauer wissen will, und die Deutschschweizer Mundart versteht, findet in diesem MP3 etwas mehr dazu: DRS3080520 Eastwood Jolie Cannes.mp3

Cannes: Höhenfeuer im Delta. Kornél Mundruczó

DeltaIch habe einen neuen Favoriten im Wettbewerb von Cannes. Der Film Delta vom ungarischen Schauspieler und Regisseur Kornél Mundruczó ist sehr beeindruckend. Es ist eine überaus einfache Geschichte, ein junger Mann kommt in die Gegend seiner Jugend zurück, im Delta einer weiten Flusslandschaft, zieht sich in die Fischerhütte seines verstorbenen Vaters zurück, und seine Schwester, die er nicht kannte, zieht zu ihm und hilft ihm bei Bau eines Hauses auf dem Wasser. Der Film vermittelt alles fliessend, er erinnert an Theo Angelopoulos und an Andrej Tarkovsky. Dass die Deltabewohner das Geschwisterpaar mit Argwohn beobachten, der Lover der Mutter sich dazwischenstellt, und dass zwischen den beiden jungen Menschen tatsächlich mehr aufzuflackern scheint als reine Geschwisterliebe, erinnert zumindest uns Schweizer nebenbei auch an Fredi Murers Höhenfeuer. Von Mundruczó haben wir am Filmfestival von Locarno den überaus eigenwilligen Film Johanna gesehen, eine Art filmische Oper um eine Krankenschwester, die im Spital Patienten heilt, indem sie sich ihnen hingibt. Die Schwester in «Delta» wird von der gleichen Orsolya Tóth gespielt, die damals die Johanna war. Und wieder muss ihre Figur leiden. «Delta» ist ein erbamungsloser, schöner Film, der zugleich reissend und ruhig vor sich hin treibt, wie der Fluss, an dem er spielt, unaufhaltsam und einem Flussbett folgend, das keine Richtungswechsel zu lässt.

Cannes: Clint Eastwoods Exchange

Angelina Jolie in Clint Eastwoods "The Exchange"
Angelina Jolie in Clint Eastwoods 'Changeling'

Niemand ist ganz sicher, ob Clint Eastwoods Film nun «The Exchange» heisst, oder «The Changeling». Beide Varianten existieren, das Filmfestival von Cannes benützt seit gestern «The Exchange». Passend ist ja beides, das Projekt lief lange unter «The Changeling», auch wenn das eher nach einem Horrorfilm tönt. Ein Horrorfilm ist das nun allerdings nicht. Die Geschichte um die von Angelina Jolie gespielte alleinerziehende Mutter in Los Angeles Ende der 20er Jahre ist sogar ziemlich spannend. Sie vermisst ihren jungen Sohn, die Polizei bringt ihn zurück, sie erkennt ihn aber nicht wieder. Das LAPD, dringend auf Fahndungserfolge angewiesen, besteht darauf, das sei ihr Sohn und setzt alle Hebel in Bewegung, die «Rabenmutter» zu diskreditieren. Bis ein paar sehr unpassende Kinderleichen auftauchen, und ein von John Malkovich gespielter Radio-Priester der Frau hilft, die korrupte LA-Polizei auszuhebeln. Das ist tatsächlich ein spannender Stoff, allerdings ist Eastwoods Inszenierung dermassen hölzern, dass man meistens aussen vor bleibt. Es ist nicht ganz einfach, den Finger auf die wunden Punkte dieses Films zu legen. Da ist einerseits die dermassen absurde Ausgangslage, die einfach absurd bleibt, auch wenn die Mechanismen der Druckausübung recht einleuchtend gezeigt werden. Dann sind da die Kinderdarsteller, die schlicht und einfach überfordert sind von ihren Rollen, John Malkovich, der sein übliches Shtick abliefert und die vielen korrupten Polizisten, Ärzte, Psychiatrieschwestern und ein Serienkinderkiller (der killt nicht Serienkinder, sondern Kinder in Serie), der eher an die Simpsons erinnert, als an einen realistischen Thriller. Angelina Jolie wirkt einigermassen überzeugend, auch wenn ihre hübsche Studiofrisur schon in Föhnwellen liegt wenn am Morgen ihr Wecker klingelt. Eastwood hat immer wieder hölzerne Filme gemacht, abwechselnd mit überaus wirkungsvollen. Dieser ist vielleicht zum ersten Mal beides. Denn trotz aller Mängel, trotz der gut geölten Studio- und Dekormaschine, dem punktgenauen Einsatz der Musik und aller anderen technischen Elemente, trotz teilweise lausiger Schauspielleistungen ist die Dramaturgie energisch, die Spannung durchgehalten und die Geschichte selber spannend genug, um das Publikum zu halten.

Cannes: Die Dardenne-Brüder vs. Marco Tullio Giordano

Arta Dobroshi in Le silence de LornaMonica Belucci in Sangue PazzoWas für ein Kontrast: Jean-Pierre und Luc Dardenne, die schon zwei goldene Palmen zu Hause haben, sind mit Le silence de Lorna hier, Italiens Marco Tullio Giordano mit Sangue pazzo. Und beide habe ich heute morgen Rücken an Rücken gesehen. Der neue Film der Dardenne-Brüder ist so perfekt wie die früheren, allenfalls noch eine Spur perfekter, und damit fast zu geschliffen, aber intensiv und direkt wie immer. Der italienische Film ist eine bombastische Historienschwarte, eine Geschichte, die an Klaus Manns «Mephisto» und die Verfilmung des Theaterstücks von Ariane Mnouchkine erinnert, aber ein Film, der mit seinem Studiodekor eher daherkommt wie Aimee und Jaguar oder sonst einer der neuen deutschen Nazizeit-Filme. Bei den Dardennes manövriert sich die junge Albanerin Lorna in Belgien in eine unmögliche Situation. Um die Staatsbürgerschaft zu erhalten, hat sie gegen Bezahlung auf Zeit einen belgischen Junkie geheiratet. Um zu Geld zu kommen, soll sie danach als Belgierin einen Russen heiraten, ebenfalls auf Zeit. Die ganze dramatische Geschchte erzählen die belgischen Brüder in ihrem souveränen, dokuemtarisch-elliptischen Stil, in dem die Dinge häufig schon passiert sind, wenn man als Zuschauer gerade erst kapiert hat, was sich anbahnt. Einmal mehr gibt es kein Wort und kein Bild zuviel in dem Film — bis zum Ende hin, das mit seinem verzögerten Aufhören für mich eine Knacknuss darstellt (die ich beim Interview mit den beiden Filmemachern zu knacken hoffe). In «Sangue pazzo» dagegen spielt Monica Belucci die italienische Filmdiva Luisa Ferida, Luca Zingaretti ist ihr Mann, der Schauspieler Osvaldo Valenti. Die beiden sind das Glamourpaar von Cinecitta zur Zeit der Faschisten, was ihnen denn schliesslich auch zum Verhängnis wird. In endlosen Rück- und Rückrückblenden erzählt Giordano diese Geschichte um Schuld und Mitläufertum, aber derart melodramatisch und vor allem in einem dermassen überladenen Studiodekor, dass man sich zurückversetzt fühlt ins amerikanische Nazikino der sechziger und Siebziger Jahre. Vielleicht ist die Künstlichkeit der Inszenierung Absicht, vielleicht ist das ganze eine doppelte Hommage an die glorreichen Zeiten von Cinecitta. Aber nach dem Film der Dardenne-Brüder fühlte sich «Sangue pazzo» an, wie eine Bernerplatte nach dem Essen.

Cannes: Strandidylle – je nach Perspektive

Mädchen am Strand von Cannes (c) sennhauser
Mädchen am Strand von Cannes (c) sennhauser

Seit den Tagen von Brigitte Bardot sind Blondinen am Strand ein Klischeefotomotiv für dieses Festival. Aber wer hätte das gedacht, selbst im aktuellen Trubel hier in Cannes bin ich noch auf ein Bild gestossen, das direkt aus Barton Fink von den Coen Brothers stammen könnte … das blonde Mädchen am einsamen Strand ist allerdings nur so idyllisch, wie es der Bildausschnitt zulässt. Hier unten kommt die ganze Ansicht (die es allerdings auch wieder in sich hat):

Strand von Cannes (c) sennhauser
Strand von Cannes (c) sennhauser

(Klick für grössere Ansicht)

Cannes: Indiana Jones 4 in einem Wort

Vergnüglich.

(Ja ja, das ist nicht seriös. Aber schnell. Und es werden in diesen Minuten tausende von Worten geschrieben hier in Cannes, die das präzisieren oder negieren werden. Ich kann ja nicht alles gleichzeitig machen, und das Interesse scheint doch vorhanden zu sein :)

Cannes: Bideau und die Belgier

Jean-Frédéric Jauslin, Falina Laanan (c) sennhauser
Jean-Frédéric Jauslin, Falina Laanan (c) sennhauser

Ein neues Koproduktionsabkommen wird ja nicht alle Tage unterzeichnet. Und dann auch noch mit den Belgiern, jenen Landsleuten, die die Komplikationen mit der Mehrsprachigkeit unsere Landes am besten verstehen, wie Jean-Frédéric Jauslin, unser Bundeskulturchef an der plage du Goeland, La croisette, Cannes, France, heute um 11 Uhr verkündet hat. Die belgisch-frankophone Kulturministerin Fadila Laanan deklarierte ihrerseit ihre Begeisterung und nun steht den vielen belgisch-schweizerischen Koproduktionen nichts mehr im Weg: Die beiden Staatsvertreter haben den Vertrag simultan unterzeichnet. Bundesfilmchef Nicolas Bideau freute sich sehr und liess seinen Blick voller Hoffnung über das Meer schweifen, in eine Zukunft voller belgisch-schweizerischer Kino-Lokomotiven.

Nicolas Bideau et les bateaux (c) sennhauser
Nicolas Bideau et les bateaux (c) sennhauser

Cannes: Der neue Woody Allen

Woody Allen bei den Dreharbeiten zu "Vicky Cristina Barcelona"
Woody Allen bei den Dreharbeiten zu 'Vicky Cristina Barcelona'

Seit Woody Allen seine Filme in Europa leichter finanzieren kann als in den USA, hat er sich räumlich verjüngt. Und seit er kaum mehr selber mitspielt, reden immer mehr seiner Figuren genau wie er zuvor. Noch nie ist mir das deutlicher aufgefallen als in Vicky Cristina Barcelona, einer transatlantischen Tragikomödie mit Scarlett Johansson, Penelope Cruz, Javier Bardem und Rebecca Hall, in der alle vier Hauptfiguren je mindestens einen Woody-Moment haben. Am irrsten wirkt das in einer Szene, in der Scarlett Johansson als leicht verwirrte Cristina aufgeregt vor sich hin plappern muss. Da fehlen nur noch das leichte Überschnappen der Stimme und die dunkle Hornbrille. Ansonsten ist «Vicky Cristina Barcelona» ein echtes Vergnügen, die Geschichte um zwei gegensätzliche junge Amerikanerinnen, die einen Sommer in Barcelona verbringen und dem gleichen, von Javier Bardem gespielten Latin Lover verfallen, ist ein typisches Allen-Manöver, in dem die Variationen durchgespielt werden. Johansson spielt den experimentierfreudigen blonden Freigeist, Hall ist die verlobte Spiesserin und beiden geraten ihre Konzepte dank Javier Bardem gründlich durcheinander. Es gibt wunderbare Momente ganz unterschiedlicher Komik. Nur schon die erste Einstellung, in der die Kamera Javier Bardem an eine Säule gelehnt zeigt, löst ein Echo aus: Der stoische Killer der Coen-Brüder ist jetzt plötzlich ein faunischer Picasso. Woody Allen macht einen Film pro Jahr, gehauen wie gestochen, und die Routine des talentierten Profis merkt man auch «Vicky Cristina Barcelona» deutlich an. Etliche Situationsgags sind reziklierte Elemente früherer Filme, dafür arbeitet er neuerdings auch mit Einstellungs- und Bildwitz, etwas, das ihm früher sehr selten gelungen ist. Wenn die zwei jungen Frauen über eine ménage-à-trois reden und die Kamera den spiessigen jungen Ehemann quasi von ihnen gerahmt, aber auf der anderen Seite des Tisches zeigt, dann löst dieser «Sight-Gag» Gelächter aus im Kino. Der Film ist ein echter, gelungener, routinierter Woody Allen, Javier Bardem ist so komisch wie charismatisch und Penelope Cruz ist einmal mehr sensationell als explosive Latina mit Haaren auf den Zähnen.

Cannes: Tokyo!

Denis Lavant als Merde in Tokyo von Leos Carax
Denis Lavant als Merde in 'Tokyo' von Leos Carax

Episodenfilme sind in der Regel eher Festivalfutter als Kinokandidaten. Eine Ausnahme war die Pariser-Kiste Paris, je t’aime, und eindeutig eine Ausnahme ist die neue Tokio-Dreifaltigkeit von Michel Gondry, Leos Carax und Joon Ho Bong, die gestern hier in Cannes ihre Premiere hatte. Jeder der drei ohnehin schon eher schrägen Regievögel hat sich mit seinem jeweiligen Beitrag zu diesem Omnibus noch einmal selber übertroffen. Den Anfang macht Gondry, mit der Geschichte einer treusorgenden Freundin, die im Gefolge ihres Möchtegern-Filmautors in der Grossstadt langsam ihr Selbstverständnis verliert und sich – ihrem Selbstbild entsprechend – in einen Stuhl verwandelt. Das ist verspielt, komisch und poetisch wie meist bei Gondry, aber auch präzise und kompakt, wie sonst eher eben nicht bei Gondry. Die Episode vom ehemaligen Regiewunderkind Leos Carax dreht sich rund um ein von Denis Lavant gespieltes menschliches Monster, das aus der Kanalisation von Tokio auftaucht, Angst und Schrecken verbreitet, und sich schliesslich als rassistischer Eigenbrötler mit europäischem Einschlag entpuppt. Der Film ist so irr wie komisch und extrem provokativ auf jeder Ebene. Und den Abschluss macht der Koreaner Bong mit einer herzergreifenden Geschichte über einen Hikikomori, einem jener Menschen, die extremes Cocooning betreiben und jahrelang ihre Wohnung nicht verlassen, auf jeglichen menschlichen Kontakt verzichten. So ein Eigenbrötler verliebt sich in ein Pizza-Liefer-Mädchen, die sich allerdings selber als angehende Hikikomori entpuppt. Der Film nützt Katastrophen wie Erdbeben als Katalysatoren und ist so komisch wie rührend. Zusammen geben die drei Episoden ein reiches Bild der Stadt Tokio mit ihren nicht nur im Westen mythisch übersteigerten Sonnen- und Schattenseiten.

Cannes: Kung Fu Panda kultureller Abstieg, sagt Dustin Hoffman

Zwischen all den knallharten, anspruchsvollen Filmen hier in Cannes nahm sich die Animationskiste Kung Fu Panda eindeutig nicht so ernst (auch wenn die Produzenten da mit knallhartem Business rechnen). Und auch die Schauspieler an der Pressekonferenz waren der Ironie nicht abgeneigt. Dustin Hoffman, der neben Jack Black in der Titelrolle und Angelina Jolie auch zu den Stimmen hinter den Figuren gehört, anwortete auf die etwas insolente Frage, wie er seinen Weg von The Graduate zu Kung Fun Panda beschreiben würde: „Es ist ein kultureller Abstieg. Aber ihr Journalisten seid da ja auch dabei, wir sitzen alle im gleichen Boot!“ (hören als MP3)