Berlinale09: Deutsche Beziehungskiste – next generation

Mitte Ende August Marie Bäumer Milan Peschel
Marie Bäumer und Milan Peschel in Sebastian Schippers 'Mitte Ende August'

Mit Mitte Ende August, Sebastian Schippers Uminterpretation von Goethes Wahlverwandschaften, im Forum, und Maren Ades Alle anderen im Wettbewerb heute habe ich wieder einmal mein eigenes Alter gespürt, das einem ja sonst im Kino leicht abhanden kommt. Beide Filme sind sehr deutsch, und reine Beziehungskisten, reminiszent an die 80er Jahre – für mich. Nicht aber für die Generation, welche sie jetzt macht, mit unterschiedlichen Zielen und Vorgaben. Sebastian Schipper (‚Absolute Giganten‘, 1999) lässt ein mittdreissiger Paar in die Zerreissprobe zwischen dem älteren Bruder des Mannes und der jüngeren Patentochter der Frau geraten. Sehr frei nach Goethe lässt er Anziehung und Abstossung spielen, alles in einem schönen alten Haus in einer einsamen Gegend. Das Kammerspiel, teilweise im Freien, ist meist sehr packend, von Szene zu Szene unterschiedlich stark, und die „Korrektur“, welche Schipper an Goethes Wahlverwandschaften vornimmt, besagt im wesentlichen, dass das nicht zwingend ist mit der Wahlverwandtschaft, sondern dass eine einstmalige romantische Entscheidung für einen Partner auch aufrecht erhalten werden kann – Wille dazu vorausgesetzt. Im Prinzip hat da ein junger Romantiker den altersweisen Goethe zu widerlegen versucht. Das funktioniert bis zu einem gewissen Grad, fordert aber auch die Zyniker in den über 40jährigen heraus.

Maren Ade dagegen schickt in ‚Alle anderen‘ ein Paar ins Ferienhaus der Eltern des Mannes nach Sardinien. Schon in den ersten Szenen wird Gitti (Birgit Minichmayr) als ziemlich direkt gezeichnet: Sie erklärt einer Sechsjährigen, dass es ok sei, jemanden nicht zu mögen und fordert sie auf, ihr zu sagen „Ich hasse dich“ und sie dann mit dem Zeigefinger zu erschiessen. Der Mann dagegen, ein Architek mit hohen Ansprüchen, dafür aber ohne aktuelle Aufträge, wird als eher weicher Träumer gezeichnet. Zwei Stunden lang durchlebt das Paar ein paar Höhen und viele Tiefen; die meisten davon äussern sich als Loyalitätsverrat des schwachen Mannes an der starken Frau (deren einzige Schwäche möglicherweise er ist). Das ist grossartig gespielt und flüssig inszeniert, auch die Nebenfiguren, wie wohl karikiert bis hin zu ihren Eigennamen (die brave schwangere Ehefrau heisst ‚Sana‘), funktionieren innerhalb der dramaturgischen Anlage ausgezeichnet. Beim Publikum, insbesondere dem deutschen, ist dieser Film sehr gut angekommen. Mir dagegen war da etwas zu viel déjà vue. Aber warum soll die nächste Generation nicht auch ihre Beziehungskisten abdrehen dürfen. Früher oder später gucken auch sie sich ein paar Fassbinder-Filme an und erkennen sich darin wieder. Oder eben nicht. Denn das zeigt die Erfahrung: Erst mit ein etlichen Jahren Abstand auf einen Film lässt er sich wirklich einordnen in die Läufe des Zeitgeistes. Wenn er in fünf Jahren noch in der Erinnerung lebt, hat er etwas eingefangen. Im direkten Vergleich halte ich Schippers Experiment vorderhand für langlebiger als Ades abgerundetes Kunstwerk.

Alle anderen von Maren Ade
Birgit Minichmayr und Lars Eidinger in Maren Ades 'Alle Anderen'

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