Berlinale09: Das Festival der leidenden Frauen

Magaly Solier in ‚La teta asustada‘ von Claudia Llosa © trigon

Mit La teta asustada (englischer Titel: The Milk of Sorrow) von Claudia Llosa aus Peru war heute im Berlinale-Wettbewerb die perfekte Ergänzung zu Peter Stricklands Katalin Varga (siehe unten) programmiert. Wieder steht eine Frau im Zentrum, diesmal die Tochter einer vergewaltigten Mutter. Sie leidet unter der „verwunschenen Brust“, weil sie die Vergewaltigung ihrer Mutter schon als Embryo in ihrem Leib miterleben musste. Zu Beginn des Films stirbt die Mutter und erzählt singend noch einmal ihre Leidensgeschichte. Die Vergewaltigung, welche die alte Frau singend über den schwarzen Titelvorspann schildert, ist grauenhaft, und sie versetzt das Publikum bereits in einen sehr unruhigen Zustand. Und danach tut Claudia Llosa alles, um keinen faulen Frieden aufkommen zu lassen. Die schöne Fausta bricht zusammen, auf der Nofallstation eröffnet der Arzt ihrem Onkel, dass die Frau eine Kartoffel in ihrer Vagina habe, und dass das nun wirklich kein geeignetes Verhütungsmittel sei. Fausta allerdings erklärt dem Zio unter Tränen, die Kartoffel sei das einzige erprobte Mittel gegen Vergewaltigung. Und im Verlauf des Films sieht man sie immer wieder diskret mit einer Nagelschere Kartoffelsprossen abschneiden. Claudia Llosa kontrastiert diese einfachen, diskreten, aber umso drastischeren Bilder und Einfälle mit grotesken Szenen organisierter Pomphochzeiten in einem Slum von Lima, denn Faustas Tante lebt vom Komplett-Catering für solche Anlässe. Eine reiche, exzentrische Pianistin gibt Fausta Arbeit, luchst ihr dabei aber gegen einzelne Perlen ihre Lieder ab – und triumphiert mit einer dieser Melodien an ihrem nächsten Konzert.

la teta asustada von Claudia Llosa Peru Berlinale09

Der Film ist randvoll mit befremdlichen Einfällen, die immer wieder dafür sorgen, dass niemandem die Unruhe ausgeht. In Anlehnung an den „magischen Realismus“, der die südamerikanische Literatur und später den Film jahrzehntelang geprägt hat, kommt man bei diesem Film leicht in Versuchung, von einem tragischen Realismus zu reden – mit der ganzen Doppeldeutigkeit des Ausdrucks. Denn wie auch bei Stricklands Katalin Vargas fragt man sich auch nach diesem Film wo das Mitleiden mit diesen Frauenfiguren denn schliesslich hinführen soll.

Morgen Freitag (13. Februar) 11 Uhr begrüsse ich Katja Nicodemus von der „Zeit“ und Martin Walder von der NZZ am Sonntag im Berlinale-Radiostudio zu Reflexe live auf DRS2. Vielleicht gelingt es uns, im Gespräch herauszufinden, wo die Unterschiede liegen in der filmischen Inszenierung des weiblichen Leidens durch Regisseurinnen und der Inszenierung durch Männer. Von Olesen Lille Soldat über Frears‘ leidende Michelle Pfeiffer in Chéri zu Katalin Varga bis hin zu Llosas Fausta sind diese Frauenfiguren der einzige rote Faden im diesjährigen Wettbewerb.

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