Keine Kunst überlebt ohne Experimente. Und bei keiner Kunst ist die Technik entscheidender als beim Film. Dabei haben wir uns fatalerweise daran gewöhnt, unsichtbare Technik und möglichst perfekte Illusionen als Gipfel des Genusses zu erleben, zumindest im Spielfilm. Wenn nun die Filmkünstler für sich und im kleinen (das heisst ausserhalb der Zulieferdienste des grossen Verwertungsapparates Hollywood) mit der Technik experimentieren, dann entstehen diese meist kurzen, oft aber doch viel zu langen kleinen Filme, die fast ausschliesslich an Festivals und in Galerien zu sehen sind. Ganz grob kann man sie in drei Gruppen einteilen:
1. Jene, welche grundsätzlich und autonom so faszinierend oder spannend wirken, dass der Wunsch nach Verständnis sekundär wird.
2. Jene Experimentalfilme, welche vom optischen und akustischen Resultat her nicht autonom funktionieren, aber ihre Methode soweit transparent machen, dass sich die Faszination doch einstellt.
3. Jene Filme, welche unter faszinierenden und/oder banalen technischen Umständen entstehen, schliesslich aber doch nur wieder so wirken, wie Hunderte ihrer Vorgänger. Weil die Künstler darauf verzichtet haben, ihren Weg ins Kunstwerk einzubauen.
In den vier Experimentalfilmblöcken der Diagonale sind alle drei Gruppen und etliche Mischmengen vertreten. Die undankbarste ist sicher die Gruppe drei, nämlich all jene Filme, welche mehr oder minder abstrakte Formen und Töne kombinieren, oft mit raffinierten neuen Techniken hergestellt, im Resultat aber kaum zu unterscheiden von den gleichen Filmen, die bei jedem Technologiewechsel entstanden sind. Vom Kratzen in der Emulsion auf dem Träger, über die optischen Verfremdungseffekte beim Spiel mit Linsen bis zu den ersten elektrischen und elektronischen Bilderzeugungen sind immer wieder ähnliche Gespenstererscheinungen aufgetaucht, die in erster Linie dadurch faszinierten, dass sie sich allenfalls schemenhaft über bekannte Bilder legen lassen.
Distorted Areas-0.1 von Manuel Knapp gehört für mich zu dieser dritten Gruppe. Das Arbeiten mit dem Rauschen der analogen Technik war ein Topos der 80er Jahre, der sogenannte ‚White Noise‘ hat mich nach Festivals damals noch in meinen Träumen verfolgt, und seit die Digitaltechnik Einzug gehalten hat, trauern viele Videokünstler dieser elektronischen Ursuppe nach. Ich mag sie aber nicht mehr sehen, die Flimmer auf schwarzem oder weissem Untergrund:
Ähnlich Mühe habe ich mit den dekorativen Iterationen gerechneter Figuren wie in Didi Bruckmayrs Flexible Cities. Die mögen konzeptionell durchaus hochstehend sein, und rechnerisch eine Glanzleistung. Sie sehen aber trotzdem einfach so aus, wie die Klangbilder, welche iTunes oder der Windows Media Player seit Jahren auf den Monitor zaubern. Auch wenn bei Bruckmayr zu Ligetis ‚Lux Aeterna‘ gerechnet wird:
Dass man damit durchaus auch mehr anfangen kann, beweist die Videokünstlerin lia mit Construction 76. Auch hier folgen die abstrakten, aber tatsächlich organisch wirkenden Formen einer Tontrack-Auskopplung, einer von einem Musikerkollektiv das sich @c nennt. Aber lia ist es gelungen, das eben nicht maschinengeneriert wirken zu lassen:
Auch Sigfried A. Fruhauf arbeitet mit dem klassischen analogen Bildrauschen. Allerdings wiederholt er einzelne Sequenzen und ordnet damit das optische Chaos in wieder erkennbare Abschnitte. In die dringen dann auch noch kämpfende Ameisen ein, was die Assoziationskette noch zugänglicher macht. Das ist zudem ein Beispiel für die Gruppe 1, ein Experimentalfilm also, der für sich selber schon fasziniert, bevor man seine Entstehungsgeschichte kennt. Natürlich hilft dabei auch der Titel Ground Control, der die Bilder einer leider mittlerweile sehr etablierten Sehgewohnheit zuordnet.
Dietmar Brehm schliesslich gehört zur zweiten Gruppe, zu jener, welche ihre Arbeitsweise erkennbar hält und ins Experiment einbaut. Ozean bietet zwar auf den ersten Blick wenig mehr als blaue Flecken in Bewegung, einen wolkigen Rorschachtest, schliesslich aber glaubt man menschliche Körper(teile) in Bewegung zu erkennen, gefilmt aus ungewöhnlicher Perspektive und gefiltert. Ob das zutrifft oder nicht, spielt dabei keine Rolle (tatsächlich verwendet Brehm ‚found footage‘ aus einem Porno), es ist das mögliche Erkennen des Ausgangsmaterials, das die Brücke schlägt. Bei den drei Szenen von Praxis-4 geht er gar noch weiter, da fängt zum Beispiel die Meridol genannte Sequenz mit unverkennbaren Zahnarztgeräuschen an (Absauger, Bohrer) und die Bilder suggerieren die Perspektive aus dem Mund heraus. Später folgen dann, in Vollmond, Collagen von Gegenständen in einer Portion Spaghetti, durch eine schwarze Vignette gefilmt, oder auch klar erkennbare ‚gefundene‘ Bilder:
Das waren nun lauter Beispiele aus dem Experimentalfilmprogramm 4. Im Programm 3 stecken ein paar Beispiele, die mich beinahe gezwungen hätten, die kleine Pseudotypologie zu erweitern. Aber mit ein wenig ignorantem Druck kriegen wir das auch noch hin. Eingefasst wird dieser Block nämlich durch zwei Filme von Anja Krautgasser. Innerer Monolog zeigt sieben Minuten lang eine futuristische 70er-Jahre-Hausfassade in der Nacht, die immer wieder flackernd erleuchtet wird. Die Kamera fährt der Fassade entlang und die Tonspur lässt als Quelle der unsteten Beleuchtung den Lichtbogen einer Schweissanlage erahnen. Am Ende des Filmblocks wird dann Krautgassers Beyond gezeigt, der die Drehsituation schliesslich ebenfalls ins Bild rückt. Tatsächlich wird unter einem langen Arbeitsbaldachin der Hausfassade gegenüber geschweisst und gefilmt, der zweite Film ist also fast schon parodistisch als ‚making of‘ des ersten aufgezogen:
Der einfachste, raffinierteste und zugleich verblüffendste Film der Reihe ist allerdings 12 Explosionen von Johann Lurf. Seine Machart ist selbsterklärend, und da er einem 12 Mal Gelegenheit gibt, die eigene Verblüffung mit Beobachtung zu schlagen, hege ich den leisen Verdacht, dass er möglicherweise doch noch eine Spur komplexer gebaut ist, als er sich den Anschein gibt. Gezeigt wird jeweils eine starre Einstellung auf ein nächtliches Industriequartier einer Stadt, eine Kreuzung, ein Stück Strasse unter einer Brücke. Dann erfolgt die Explosion, ein kurzes, heftiges Feuerwerk, im Prinzip eine einzige Eruption (auf die man natürlich schon beim zweiten Mal gespannt wartet), nach der man aber mit abnehmender Verblüffung feststellt, dass sich der Kamerastandort geringfügig geändert hat. Spätestens beim dritten Mal glaubt man dann auch zu wissen, wie das gemacht ist: Die Explosion erfolgt jeweils unmittelbar nach dem Schnitt, was zur Folge hat, dass man sie am ‚alten Ort‘ zu sehen glaubt, und den ’neuen Ort‘ erst im abziehenden Rauch erkennt:
Aber ein Film, das gebe ich gerne zu, sprengte sogar die Kategorie eins. Er ist zwar tatsächlich visuell so spannend, dass man für kurze Zeit die Frage nach Technik dahinter zurückstellt. Dann aber kommt sie um so heftiger: Wie macht der das? Wie beim Zauberer auf der Bühne. Mit dem Unterschied, dass das Verraten des ‚Tricks‘ nicht die Illusion zerstören würde, sondern die Bewunderung für die Sorgfalt beim Bauen der Bilder verstärken. Es ist ein vier minütiger Ausschnitt aus den Rauminvasionen von Klaus ‚Planigramm‘ Pamminger mit dem (beinahe) kryptischen Titel ri-m#07_LP. Der Titel lässt sich auflösen: Raum Invasionen/movies Nummer 7 La pianiste. Und damit ist Michael Hanekes Die Klavierspielerin gemeint. Denn es sind die Bilder dieses Films, welche auf höchst raffinierte Weise einzelne flächige Streifen und Elemente von Pammingers Wohnraum übernehmen. Diese Bilderinvasion ist dermassen präzise gemacht, dass sich gegen Ende der vier Minuten der vorher klar definierte Raum völlig in Bildausschnitte aufgelöst hat, als ob sich die imaginierte Dreidimensionalität des Raums geschlagen geben müsste vor der Zweidimensionalität einer flächigen Projektion:
Dass die Diagonale überhaupt dem Experimentalfilmschaffen so viel Raum einräumt ist verdienstvoll. Und wenn sich dann ein Teil des Publikums über den eigenen Mut wundert und im Saal zu rascheln, zu husten oder gar leise bellend zu lachen beginnt, wenn Michael Aschauers 24/7 into the direction of light tatsächlich stur im Zeitraffer 7 Tage lang je vierundzwanzig Stunden aufs Meer hinaus starrt, und die sieben Wechsel von Nacht zu Tag und zurück in neun Minuten sich zu gefühlten Stunden dehnen, dann macht das überhaupt nichts. An den Film werden wir uns noch in Jahren erinnern. Ohne genau sagen zu können, warum eigentlich.