Nyon 09: Cooking History

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Wie man mit Frechheit, Einfallsreichtum und minimalsten Mitteln einen ebenso unterhaltsamen wie nachdenklichen Dokumentarfilm machen kann, hat hier an den Visions du réel in Nyon Peter Kerekes mit Cooking History gezeigt. Er folgt den grossen Konflikten des 20. Jahrhunderts über die Erinnerungen jener, die für die Armeen gekocht haben, den Feldköchen, ihren Gulaschkanonen und Erinnerungen an U-Boot-Kombüsen. Im Zentrum stehen auch bei Kerekes die Veteranen und ihre Erinnerungen, die klassischen Talking Heads eben. Aber er lässt sich nicht einfach in die Kamera reden, sondern er inszeniert sie. Entweder in einer Küche beim Kochen, oder – zum Beispiel – auf der Flucht durch ein Maisfeld, komplett mit verfolgendem Panzer. Er geht aber noch weiter. Wie auf dem Foto oben ersichtlich, hat er den einstigen U-Boot-Smutje mit einem Klapptisch und einem Gasbrenner an den Strand gestellt, kurz vor Eintreffen der Flut. Während der Mann seine panierten Koteletts brät, steigt der Meeresspiegel.

Und während der Veteran erzählt, wie seine Kameraden im eisigen Meer ertrunken sind, steht ihm das Wasser schon auf Brusthöhe, die Koteletts werden vom Tisch gespült und gehen parallel zur Schilderung der U-Boot-Havarie unter. Die Schilderung tragischer Ereignisse korrespondiert mit der stoischen Unberührtheit des Kochs, der da im Wasser steht, als ob nichts wäre. Und der Kontrast führt dazu, dass mir als Zuschauer das Grauen der geschilderten Szene ganz anders bewusst wird. Manchmal geht Kerekes mit dieser Methode über das Mass des Vertretbaren hinaus, etwa wenn er einen Veteranen des französischen Algerienkrieges Coq auf vin kochen lässt und dazwischen Bilder von Kriegsleichen schneidet. Das hat einen Kollegen hier in Nyon so auf die Palme gebracht, dass er den Saal verlassen und den Film als pornografisch bezeichnet hat.

Ich verstehe die Reaktion, bin aber gleichzeitig der Meinung, dass Kerekes‘ bewusster Verstoss gegen den guten Geschmack und die gegen alle ethischen Regeln des ethnografischen Films verstossenden Montagen mit ihrem Schockwert nicht einfach unterhalten, sondern Reaktionen provozieren, die sich sonst kaum mehr einstellen würden. Am besten ist das zu erklären anhand einer Sequenz, in der er serbische und bosnische Feldköchinnen und Feldköche erzählen lässt, und dazu den Leibkoch Titos, der schildert, wie bald nach dem Tod des Diktators in allen Landesgegenden Konferenzen der Regionalpolitiker abgehalten wurden, mit Abenddiners, die bereits nationalistisch gefärbt daher kamen: Auf Tellern mit den jeweiligen Nationalflaggen der Serben, der Bosnier oder der Mazedonier (wenn ich das richtig in der Erinnerung habe) werden vor der Kamera regionale Spezialitäten angerichtet. Und dann mit je einem einzigen Gewehrschuss vom Teller gefegt: Der nationalistische Krieg ist eröffnet.

Die tatsächlich ziemlich schauerlichen Kontraste zwischen inszenierter Komik und geschildertem Horror entsprechen letztlich dem Grundkontrast der Aufgabe der Feldköche: Sie sollen mit ihrer sachkundigen Arbeit die Soldaten am Leben und bei Laune halten, damit diese den Gegner um so effizienter umbringen können. Gleichzeitig schafft es Kerekes bei jeder Gelegenheit, seinen Protagonisten Überlegungen zur Verantwortung des Individuums abzuluchsen. Fast alle sind sich einig darüber, dass ihre Arbeit zur Effizienz der Kriegsmaschinerie beigetragen hat, auch wenn immer wieder betont wird: Hätten wir uns dem verweigert, wären wir ganz schnell ganz weit vorne an der Front gelandet.

Kerekes‘ Methode, über die Feldküchen einen Blick auf die Kriegsmaschinen zu werfen, erinnert nicht von ungefähr an Robert Altmans M.A.S.H. und die perverse Situation der Feldärzte, welche jene blutigen Überreste wieder zusammenflicken sollen, welche die Maschinerie produziert, deren Teil sie darstellen. Und eben so wie M.A.S.H. (der Film und die Fernsehserie) unbestritten viel geleistet haben, ein realistischeres Bild von den Kriegsgräueln in Korea und Vietnam an die Öffentlichkeit zu tragen, schafft es auch Peter Kerekes mit Cooking History, die groteske, grauenhafte, absurde Situation des Krieges für die Soldaten und Armeeangehörigen auf einer sehr direkt nachvollziehbaren Ebene zugänglich zu machen.

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