Cannes 09: Oh Glamour!

Cannes National Room

„Grüss mir die Isabelle Huppert!“ hat da einer vor meiner Abreise geblödelt, und andere formen – wider besseres Wissen – Wolken von Glamour, Glanz & Gloria im Kopf, wenn unsereins erklärt, dass man schon wieder nach Cannes fliege. Und ja: Es ist ein Privileg, es ist der Höhepunkt des Filmjahres. Und dafür nimmt man gerne auch ein Hotelzimmer mit Dachluke in Kauf, sechs Quadratmeter mit Klappstuhl, für 110 € die Nacht, ein Zimmer, für das während des restlichen Jahres die Hälfte fällig wäre, und das auch dann niemand wirklich wollen würde. Seit meinem ersten Cannes-Besuch wohne ich jedes Jahr in diesem kleinen Kasten, jedes Jahr buche ich gleich für das nächste Jahr vorsorglich wieder, denn wer hier kein Zimmer hat im Herbst, der baut sich keines mehr … oder so war es zumindest, in den letzten Jahren.

In dieser Stadt, in der die Hoteliers die Hälfte ihres Jahresumsatzes in den 12 Tagen des Filmfestivals machen, in dieser Stadt, die über Nacht von 60’000 Einwohnern auf 200’000 anschwillt, in dieser Stadt, in der manche Leute sich die Jahresmiete für ihr Appartement an der Croisette hereinholen, indem sie es in diesen zwölf Tagen an eine Filmfirma vermieten und zu Tante Anna aufs Land ziehen, hier gilt der Rubel mehr im Mai. Oder zumindest war das so die letzten Jahre. Die Krise habe auch das Filmfestival erreicht, wird gemunkelt, es gäbe noch freie Hotelzimmer in diesem Jahr, und man müsse sie nicht einmal für 12 Nächte blockbuchen. Schon möglich, dass weniger Filmprofis anreisen heute und morgen. Weniger Journalisten werden es kaum, denn für jede traditionelle Zeitung, welche ihren langjährigen Filmredaktor heuer einspart, schickt irgend ein Gratisblatt einen willigen Jungspund auf die Jagd nach Star-Staub. Dabei ist Cannes längst die Heimat der alten Männer (zu denen ich mich knapp noch nicht zähle) und der alten Frauen (die es hier nicht wirklich gibt, mais non, Monsieur…) Im grossartigen Line-Up des diesjährigen Wettbewerbs finden sich fast ausschliesslich Occasions-Regisseure und -Regisseurinnen. Bewährte, über Jahre erprobte Meisterinnen und Meister. Das ist einerseits eine Spätfolge des Hollywood-Drehbuchstreiks, andererseits aber auch ein Symptom für den Zustand des Weltkinos – im Jahr vor dem Jahr vor der Krise. Denn Filme werden über mindestens drei Jahre hinweg geplant, finanziert, produziert und schliesslich lanciert.

Was das alles mit meinem Hotelzimmer zu tun hat? Nun, letztes Jahr hat das kleine Hotel National an der rue Maréchal Joffre die Hand gewechselt. Statt dem langjährigen Hotelier, einem Engländer namens William Potter, und seiner lokalen Frau, hat eine ältere Dame den Laden übernommen. Und damit auch sich, wie man hört. Jedenfalls ist das Hotel eigentlich schon geschlossen, nur für dieses Festival hat man noch mal alle Zimmerchen vermietet, einen letzten kleinen Goldregen erhoffend. Und dann soll alles aus sein? Wer weiss. Vielleicht kauft ja wieder ein Selbstanpacker wie „Harry“ Potter, wie wir ihn unter uns nannten, den Laden. Und alles geht weiter wie gewohnt. Aber vielleicht wird das Haus auch wirklich geschlossen und wir, der Kollege aus Israel, der verrückte Amerikaner, die Kollegen vom „Bund“ und der Sonntagszeitung, werden heimatlos in Cannes. Denn hier zeigt sich, dass wir eben doch schon alte Männer sind, verschanzte Veteranen in unserer cinephilen Wagenburg, diesem letzten Trutzschloss des Weltkinos, dem Ort wo die alten Filmkritiker über die neuen Filme der alten Filmemacher schreiben. Das ist unser Glamour. Und das da unten ist die Aussicht, die ich von meinem Zimmerchen aus habe, wenn ich auf den Klappstuhl steige und den Kopf aus der Dachluke stecke:

Cannes National View

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