Cannes 09: Up!

Up Pixar 01

Ein Pixar-3D-Film als Eröffnung für das prestigeträchtigste Festival der Welt? Die Geschichte eines alten Mannes, der mit seinem Haus davonfliegt? So richtig kribbelig wurde niemandem beim Gedanken daran. Aber der Film hält deutlich mehr, als sich viele Besucher hier in Cannes versprochen haben. Natürlich steht er auch für eine technologische Entwicklung, für das neue digitale (3D-) Kino. Aber er steht auch für die Erneuerung, welche John Lasseters Pixar-Team bei Disney erwirkt hat. Der Zauber, die Magie, die Rührung und der Witz der einstigen Disney-Klassiker von Snow White bis zum Jungle Book sind bei den immer formelhafteren Produktionen längst auf der Strecke geblieben. Pixar hat wieder von vorne angefangen, seinerzeit, mit Toy Story. Das war eine technologische Revolution, aber auch eine – stillere – inhaltlich-ideologische.

Up!-Regisseur Pete Docter hat nicht nur bei Toy Story und Wall.E am Drehbuch gearbeitet, er war auch als Co-Regisseur an Hayao Miyazakis verrückter Japanimation Howl’s Moving Castle beteiligt. Er gehört zu jenen trickreichen Visionären, die sich den kindlichen Blick erhalten haben, zusätzlich zum professionellen. Ähnlich wie die erste halbe Stunde von Wall.E hat auch Up! diesen naiv-eingeweihten Zauber, diesen Blick, den Kinder auf sich selber erhalten, wenn sie sich in mutigen Bilderbüchern wie Wo die Wilden Kerle wohnen von Maurice Sendak vertiefen.

Up! tönt nach Formel, wenn man den Plot nach erzählt: Ein alter Mann macht sich nach dem Tod der geliebten Frau auf den Abenteuertrip, von dem sie immer geträumt hatte. Mit hunderten von Ballons lässt er sein Haus in die Luft steigen. Ein linkischer Pfadfinder, der sich auf seiner Veranda versteckte hatte, wird zum unfreiwilligen Reisebegleiter und die beiden müssen sich unterwegs zusammenraufen. „Der kleine Lord“ oder „Der selbstsüchtige Riese“ lassen grüssen. Aber der Film ist mirakulös in seiner kindlichen Entschlossenheit, Rührung immer knapp vor dem Kitsch entstehen zu lassen. Allein die ersten zehn Minuten, die unglaublich gerafft und präzise die Lebens- und Liebesgeschichte des Ehepaar erzählen, sind meisterhaft. Sie wirken wie jene so überaus dichten, witzig berührenden Kurzfilme von Pixar, mit denen die Leute ihre Sporen abverdienen. Aber Up! hält Präzision und Stimmung durch, steigert sich sogar im letzten Drittel. Verfolgungsjagden über Felsen und durch die Luft, Zeppelin hinter Ballonhaus, Hundemeute hinter Dodo-Vogel, und das alles in äusserst zurückhaltender, dafür um so verblüffenderer 3D-Technik, machen den Film auch zum optischen Fest. Docter und sein Team lassen 3D nie zum Gag werden, sie sorgen stets dafür, dass die Tiefe (und der seltsame Tilt-Shift-ähnliche Effekt, der dreidimensionalen Gegeständen immer etwas Puppenstubenhaftes gibt) nicht bloss verblüfft und mit der Zeit auf die Nerven geht, sondern durchgehend für magischen Einbezug des Publikum ins Geschehen sorgt.

Up! ist, mit seinem Mut, auf die meisten der bewährten Disney-Formeln zu verzichten, ein Film geworden, der Bestand haben dürfte. Ein neuer Klassiker, ein Film, den Kinder lieben werden wie ihr Lieblingsbilderbuch. Und die Eltern auch, unter anderem darum, weil Up! auch auf die mittlerweile ausgewaschene Formel mit den „Erwachsenengags“ und den Insiderwitzen verzichtet, und damit sein ganzes Publikum ernst nimmt.

Die 3D-Technik, welche in Cannes zum Einsatz kam, ist übrigens die aufwändigere der zwei derzeit hauptsächlich eingesetzten, jene mit der elektronisch von der Leinwand (via Lichimpulse) gesteuerten Shutterbrille. In der Schweiz wird die derzeit von den Kinos der Pathé-Kette eingesetzt, während die Kitag-Kinos vorderhand die billigere RealD-Technik mit Wegwerfbrillen testen.

Up mis Goggles
Sennhauser sieht für einmal in die Tiefe des Raums

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