Cannes 09: Un prophète

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Jacques Audiard kommt aus einer Filmemacherfamilie, seine Filme haben die Sicherheit und den langen Atem der Tradition. Gleichzeitig bringt er bei jedem neuen Film eine neue Fremdheit ein, die Neugier weckt und nervös macht. Bei seinem aktuellen Cannes-Wettbewerbsbeitrag Un prophète ist die Familie das Gefängnis, der Protagonist ein arabischstämmiger Franzose, und die Gefahr sowie die Fremdheit kommen aus allen Elementen eines Kino-Genres, gerade und vor allem den vertrauten. Gefängnisfilme sind genremässig ein vertrautes Territorium für jedes Publikum, ähnlich wie Gerichtsfilme verhandeln sie die Welt und die Gesellschaft in einer geschlossenen, überschaubaren Versuchsanlage. Aber Audiard verzichtet ausgerechnet auf diese Geschlossenheit des Systems. Der Junge wird mehr oder weniger direkt aus der Jugenderziehungsanstalt ins gnadenlose System der erwachsenen Insassen katapultiert. Vom Capo der korsischen Fraktion, der das Gefängnis mehr oder weniger kontrolliert, wird er sofort instrumentalisiert, um einen arabischen Zeugen umzubringen. Für die anderen Araber ist er damit Korse, für die Korsen bleibt er der „sâle arabe“. Aber die Gefängniswelt ist untrennbar mit der Aussenwelt verbandelt bei Audiard.Der Mann, den Malik umgebracht hat, bleibt sein Gesellschafter in der Zelle. Zunächst taucht er in Alpträumen auf, bald aber wird er zum imaginären Freund, denn paradoxerweise war er der einzige, welcher eine gewisse Freundlichkeit gezeigt und dem Jungen den guten Rat gegeben hat, den Gefängnisaufenthalt zur Bildung und Weiterbildung zu nutzen, zum Lesen lernen – Sekunden bloss, bevor ihm der andere mit einer Rasierklinge die Kehle durchschneidet. Lernend und sich anpassend, vorausschauend und clever wird der grüne Underdog zum Handlanger und Vertrauten des Capo (unter anderem weil er smart genug ist, korsisch zu lernen und das im richtigen Moment unter Beweis zu stellen) und schliesslich zum Kriminal-Diplomaten zwischen allen Fronten innerhalb und ausserhalb des Gefängnisses.

Audiard ist es gelungen, die 150 Minuten dieses Filmes mit einer durchgehenden Energie und Spannung aufzuladen, die Bewunderung verlangt. Seine Darsteller sind intensiv, der junge Tahar Rahim als Malik hat die rastlose Durchtriebenheit, welche Al Pacino in den Godfather-Filmen zur Schau trug, und Veteran Niels Arestrup hat als alternder korsischer Mafia-Capo die Präsenz, die Ruhe und das Gewicht eines Jean Gabins. Aber letztlich ist es vor allem Audiards Idee, den jungen Aufsteiger als Go-Between zwischen den (kriminellen) Kulturen zu zeigen welche diesen Film so faszinierend macht. Der Gefängnisfilm ist, wie auch die Mafia-Filme, im Kern immer ein Kriegsfilm im Clan-Bereich. Malik ist nicht die erste Figur in der Filmgeschichte, welche es schafft, die Clans gegeneinander auszuspielen, auch das hat Tradition in fast allen Genrefilmen. Aber er ist zur Zeit der eindrücklichste „Clan-Surfer“ im aktuellen Kino, eine Figur, welche ihre Wurzeln direkt in der aktuellen französischen und damit europäischen Gesellschaft hat.

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