Cannes 09: Antichrist

Antichrist

So schön hat schon lange kein Film von Lars von Trier mehr ausgesehen. Und gleichzeitig liegt eine eigenartige Distanz in der Schönheit der Bilder, vor allem auch der Bilder des Schreckens. Denn Antichrist ist tatsächlich ein Horrorfilm. Allerdings nicht der, den der Trailer bei manchen Kollegen evoziert hat. Lars von Trier hat das Drehbuch am Ende seiner zweijährigen massiven Depression konzipiert, und was wir heute in Cannes gesehen haben, ist ein sehr kontrolliertes, kalkuliertes, doppelbödiges Stück Therapie-Therapie, ein Therapie-Exorzismus. Der Plot wird vom Presseheft treffend in zwei Sätzen zusammengefasst: Ein trauerndes Paar zieht sich zurück nach Eden, eine abgelegene Ferienhütte im Wald, in der Hoffnung, dort ihre gebrochenen Herzen und ihre gefährdete Ehe zu reparieren. Aber die Natur nimmt ihren Lauf und die Dinge entwickeln sich von schlimm zu schlimmer.

Charlotte Gainsbourg, Willem Dafoe in 'Antichrist' von Lars von Trier
Charlotte Gainsbourg, Willem Dafoe in 'Antichrist' von Lars von Trier

In einem Prolog, von Anthony Dod Mantle in unglaublich schönen Schwarzweissbildern gefilmt, lernen wir ein Ehepaar (beim Sex) kennen, gespielt von Charlotte Gainsbourg und Willem Dafoe, und auch die Vorgeschichte ihres Abstiegs in die nachfolgende Ehehölle. Danach folgen die einzelnen Kapitel, lose als Therapie des Mannes, eines professionellen Psycho-Therapeuten, an seiner Frau gegliedert. Allerdings hält Lars von Trier da sehr konzentriert die Balance zwischen parodistischem Psychobabble und pseudodokumentarisch angelegter Therapiebegleitung – auf einer Ebene. Auf der tieferen allerdings spielt er schamlos und instinktsicher wie eh und je mit den archetypischen Angstbildern jeder Kindheit: Dem Wald, der Fuchshöhle, der Brücke, dem toten Baum, dem Dachboden, der Sexualität und schliesslich der Frau als Rabenmutter und als Hexe. Dabei gelingen ihm neben echten Horrortableaus auch Szenen, bei denen man sich unwillkürlich verkrampft, bloss, um gleich darauf wieder laut herauszulachen. Vom rudimentären Plot soll hier nichts verraten werden, ausser, dass es den meisten regelmässigen Kinogängern nicht allzu schwer fallen dürfte, zum manchmal sublimen, manchmal satirischen Horror auf Distanz zu bleiben. Was nicht heisst, dass die Bilder (die zum Teil von einer blutigen Drastik sind) und Szenen nicht hängen bleiben.

Eine der Stärken von Triers war immer seine Unverschämtheit in seiner Fähigkeit, mal als Moralist, dann wieder als Zyniker zu inszenieren. Antichrist ist nun weder moralisierend noch zynisch, von Trier geht sogar so weit, mit Elementen zu spielen, die er nur ihrer Wirkung wegen einsetzt, nicht irgendwelchen historischen oder ethischen Überlegungen folgend. Insbesondere gehört da der der ganze Hexenkomplex dazu. Damit begibt er sich wieder ins gleiche Fahrwasser, das ihm schon bei etlichen seiner Filme den Vorwurf der Misogynie eingetragen hat – eigentlich treibt er das nun sogar auf die Spitze mit dem Begriff Gynozid, der im Film eine eigene Rolle spielt. Und doch nur um des Effektes Willen gebraucht wird.

Am Ende, nach einem eben so schönen wie ironischen Prolog (der gezielt an Bergman erinnnert) folgt eine Widmung des Films an Andrei Tarkovsky. Das war dann einigen der Hardcore-Cinephilen im Cannes-Publikum endgültig zu viel. In den Applaus und die Buhrufe, welche Lars von Trier hier immer gleichermassen provoziert, mischte sich hie und da so etwas wie Empörung über eine Anmassung. Dabei ist die Widmung durchaus stimmig. Auch wenn sie gleichzeitig auch wieder eine bewusste Provokation ist, wie alles an Antichrist. Religion ist übrigens das einzige Thema, das der Film überhaupt nicht anrührt. Und damit bekommt sogar der Titel diese ironische Zweideutigkeit. Ich halte Antichrist für ein sehr stimmiges, provozierendes und perfekt durchgestaltetes Kunstwerk, ein autotherapeutisches Sudoku, viel zerebraler als erwartet und – allen Schockmomenten zum Trotz – weniger manipulativ als die meisten bisherigen von Trier Filme, und dazu ein höchst anregendes, ästhetisch reiches Erlebnis.

Antichrist

9 Antworten auf „Cannes 09: Antichrist“

  1. Autsch! Verdammt hochgestochen: Therapie-Therapie…Misogynie …autotherapeutisches Sudoku … Wer sind denn deine Leser? Das ist blitzgescheit und sehr instruktiv, aber wer versteht das (ausser mir)? Den Film werde ich nicht verpassen, schon wegen der Widmung an Tarkovsky,obwohl ich dachte, dass ich mir keinen von Trier mehr antuen werde.
    Meuder

  2. Nana, Meuder, ich denke, die anderen rund 200, die derzeit hier regelmässig lesen, verstehen das auch. Sonst kämen sie nicht wieder. Aber freut mich natürlich, dass Du mit liest!

  3. Also ich lese nur die Randnotizen (Filmfestival Locarno am Strand, Schnee vor dem Carlton etc.) und die Kommentare. Über «Antichrist» möchte ich auf keinen Fall zu viel wissen, bevor ich ihn gesehen habe.

  4. Kann leider Willem Dafoes „Fresse“ (sorry!) meist fast nicht ausstehen, aber mit Charlotte vis-à-vis sollte es durchzustehen sein. Einen von Trier lass ich mir ungern entgehen.

    A propos Randnotizen vermiss ich an dieser Stelle fast schon den gewohnten Nebensatz, wonach von Trier mit dem Camper angereist sei. Ist er auch diesmal?

  5. Nein, wenn man den Kolleginnen und Kollegen glauben will, die in ihm mittlerweile die Verkörperung des Grössenwahns in Kombination mit sadistischem Wahnsinn sehen, dann ist er wahrscheinlich auf dem Besen hergeritten. Im Ernst: Cannes ist sehr leicht mit dem TGV zu erreichen für Leute mit Flugangst.

  6. Ist es intellektuell, einfachste Aussagen in Fremdwörter zu packen?
    Der Text erinnert ein wenig an die damaligen Musikkritiken in den Rock – Heftli, in denen in immer gleichen Floskeln endlos „verbal abgespritzt“ wurde, und nach dem Lesen fragt man sich: Was wurde eigentlich gesagt? Ist ÜBERHAUPT eine Aussage da?
    Mögen die Ferien dem Schreiberling gut tun und ihm wieder eine gewisse Körperlichkeit und Bodenhaftung verleihen. Oder war dieser wortreiche Höhenflug durch die Nähe zum Filmgenie – L.v.T., Sitznachbar im TGV – induziert worden ? :-)

  7. Ich habe Antichrist gesehen, nachdem sich einige Filme von Lars von Trier in mich eingebrannt haben. Sie sind grundlegend ehrlich und scheuen keine Realität menschlicher Existens. Tarkowski nähert sich mit seiner eigenen Bildsprache ähnlichen Fragen, aber meines Erachtens fliegt er in einer Sphäre über Trier und liebt die Menschen. Antichrist – den ich glücklicherweise nur bis zum 2. Drittel gesehen habe – hat mich zu tiefst enttäuscht, ich habe auf meinem Fahrrad auf dem Nachhauseweg geschimpft, dass ich dafür Geld ausgegeben habe…
    Es ist klar, dass wir selbst unsere Ängste schüren und es dafür Orte und Situationen gibt, die quasie zu potentiellen Höllenorten werden können. Nun habe ich nicht bis zum Ende geschaut, weil ich mir das psychopatische Massaker ersparen wollte. Natürlich gibt es wunderbare, zeitlose Atmosphären im Film und eine fantastische Eingangsszene mit himmelsnaher Musik aus Händels Rinaldo. Und die (Selbst)zerstörungskraft des Menschen, vor allem in der Liebe zwischen Mann und Frau, wird bis zum Exzess dargestellt. Dennoch glaube ich, dieser Film hat mir und vielleicht auch den Menschen nicht viel zu sagen. Nichts mehr als ein psychologisch fein komponierter Horrorfilm.

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