Das Kino war randvoll, aber der Irrsinn hielt sich in Grenzen heute morgen. Zumindest bis der Film anfing. Inglourious Basterds zelebriert Quentin Tarantinos Liebe zum Trash- und Actionkino der siebziger Jahre weiter, gleichzeitig ist der Film aber für Cannes und sein Festivalpublikum gemacht: Er ist randvoll mit cinéphilen Aperçus, er spielt zu grossen Teilen in einem Kino in Paris, eine der Heldinnen erklärt einem deutschen Besatzungssoldaten, sie sei Französin und in Frankreich liebe und respektiere man die Auteurs, und schliesslich ist einer der britischen ‚Basterds‘ ein Filmkritiker und Filmhistoriker. Wer aber sind die ‚Basterds‘?
Man erfährt es eigentlich nie. Sie sind eine vom Lt. Aldo Rain (Brad Pitt) zusammengestellte Undercover-Truppe aus amerikanischen Juden, welche im besetzten Frankreich Nazi jagen, überfallen, foltern, töten und skalpieren. Keiner von ihnen bekommt mehr Hintergrund. Rain selber hat offenbar Apachen-Vorfahren, alle anderen (mit Ausnahme des britischen Filmhistorikers) definieren sich allenfalls über ihre spezielle Methode des Nazi-Schlachtens (Baseball-Schläger, Messer, Scharfschütze). Die wenigen Opfer, die sie am Leben lassen, um die deutschen Truppen zu demoralisieren, brandmarken sie mit einem In die Stirn geschnittenen Hakenkreuz.
Parallel dazu entwickelt die junge Jüdin Shosanna Dreyfus (Mélanie Laurent), welche ihre ganze Familie verloren hat, einen Plan, in ihrem Pariser Kino während einer deutschen Filmpremiere das ganze Nazipublikum samt Hitler, Goebbels und anderen Premierengästen abzubrennen. Und in einem dritten Erzählstrang bereitet die als deutscher Schauspielstar gefeierte Bridget von Hammersmark (Diane Krüger) in ihrer Rolle als heimliche Agentin der Alliierten einen Sprengstoffanschlag der ‚Basterds‘ auf das gleiche Kino vor.
Der Film fängt vielversprechend tarantinesk an, mit einem Establishing Shot auf ein kleines Bauernhaus auf einem grünen Hügel. Ein Vater hackt Holz, seine drei schönen Töchter hängen Wäsche auf, bis der SS-Offizier Oberst Hans Landa (Christoph Waltz) auftaucht, bekannt als ‚Judenjäger‘. Unter den Titeln liegt leicht übersteuert scheppernde 60er Jahre Western Musik, das ganze erste Kapitel ist gefilmt als Hommage an den Italowestern, insbesondere Sergio Leone. Und auch die Tarantino-Meta-Gags sind da. Nachdem Landa und der Bauer sich eine Weile Französisch unterhalten haben, erklärt der Deutsche, er habe die Sprache jetzt erschöpft, und sie reden auf Englisch weiter (ganz ähnlich hat Bryan Singer Tom Cruises Übergang vom deutsch gelesenen Tagebuch zum englischen organisiert in Valkyrie).
Die folgenden Kapitel orientieren sich stilistisch alle an verschiedenen Perioden und Genres, vor allem aus den siebziger und achtziger Jahren. Dieses Spiel mit den Kinotraditionen macht durchaus Spass, auch die Zusammenführung der einzelnen Erzählstränge im Kulminationsort Kino, und natürlich auch die Idee, dass das Kino die Menscheit von Hitler befreien könnte.
Die Szenen mit Blut und Gewalt sind nach Tarantinos Standards recht dünn gesät, und die Exzesse bleiben im Rahmen des gewohnten. Gemessen an den Blutlitern von Kill Bill ist dieser Film sogar eher zurückhaltend.
Allerdings hat Inglourious Basterds ein Problem, das Tarantino nicht lösen konnte oder wollte: Die moralische Rechtfertigung der ganzen Nazischlachtereien beruht auf der einfachen Prämisse, dass Nazischlachten gut sei. Oder zumindest moralisch vertretbar. Natürlich waren die 60er und 70er Jahre Vorbilder für den Film in dieser Beziehung simpel. Und selbst hochkalibrige Genre-Klassiker wie Where Eagles Dare mit Richard Burton und Clint Eastwood von 1968 brauchten keine andere Prämisse. Die wirklich zynischen Italowestern dagegen kehrten den Grundsatz ganz einfach um und zelebrierten die Amoralität; in einer Reaktion auf das amerikanische Heldenkino entstanden die Bastarde auf die sich Tarantino nun beruft. Aber gleichzeitig macht sein Genremix die Ausgangslage unerträglich, nach Vietnam, Guantanamo und Abu Ghraib ist es nicht mehr so einfach, nur in einem totgefolterten Gegner einen guten Gegner zu sehen. Und es ist sehr ungewohnt, amerikanischen Soldaten in der Rolle des lächelnd zynischen Folterknechts zu applaudieren.
So gesehen hat auch das grosse Finale, das ich trotz allem nicht verraten möchte, diesen gleichen Schwachpunkt: Zynismus lässt sich nicht moralisch rechtfertigen, sondern allenfalls genüsslich zelebrieren. Tarantino versucht aber beides zugleich.
Dass er dazu noch die amerikanischen Nazi-Killer als ungebildete, sprachunbegabte ungerührte Rüpel und Hinterwäldler gegen kultivierte, sprachmächtige und belesene Nazi antreten lässt, macht die gleichzeitige Feingeisterei in Sachen französischer Cinéphilie zumindest im Ansatz fragwürdig.
Inglourious Basterds ist über weite Strecken recht unterhaltsam. Aber mit der zelebrierten zynischen Gewalt verrät Tarantino den Geist jenes Kinos, das er beschwört. Man kann ganz einfach nicht gleichzeitig naiv und wissend agieren. Was wir so lieben am brutalen Kino der 60er und 70er Jahre, ist seine Eindeutigkeit, seine Entschlossenheit und sein hippiemässiges Anrennen gegen den etablierten Moralkodex. Das hat Tarantino einst begriffen und mit Pulp Fiction umgesetzt. Jetzt will er seinen Kuchen behalten und essen zugleich. Mir hat das auf den Magen geschlagen.
Schon wieder „sprachmächtig“. Am gleichen Mittwoch gebrauchen das Wort MvH und sennhami in ihre frischesten Texten… Aber der Duden kennt das Adjektiv nicht… Lustig!
Wenn das Vokabular des Dudens genügen würde, die Welt zu beschreiben, dann bliebe nur noch die Musik für weiter reichende Gedanken … kennt der Duden denn ein Wort wie „bildmächtig“? Oder bleibt er doch eher brav bei ohnmächtig?
Das brutale Kino der 60er und 70er Jahre ist nicht zwingend „hippiemässig“, da nicht jeder „Angriff“ auf das System von der linken Seite her geschieht. Viele der von Tarantino geschätzten
„Poliziottesco“ Filme handeln in bester Dirty Harry Tradition von einem frustrierten Kommissar, der seinen Feinden hinsichtlich Brutalität und Zynismus in nichts nachsteht und im Drogenkrieg auf bewaffnete Repression setzt. Ein Krimi-Blocher sozusagen…
Lieber Mick,
einfach mal ein Danke schön, dass ich dank dir in Cannes dabei sein kann.
@Pat: Danke auch, macht doch Spass, und dass es gelesen wird erst recht!
@felixkrull: Das stimmt natürlich absolut. Mit hippiemässig meinte ich auch nicht die Figuren, sondern die Filmemacher, die sich mit ihren Gewaltfantasien in Opposition zu ihrem eigenen Umfeld versetzten, vor allem in den 70er Jahren. Leute wie John Milius haben sich dabei ja fast um den Verstand fantasiert…
In Wörterbüchern findet man doch öfter keine Wörter, bei denen es weglassbare Vor- und Nachsilben gibt. (: Allerdings ist mir persönlich ‚bildgewaltig‘ im Vergleich zu ‚bildmächtig‘ bekannter.
PB scheint eine ganz besonders fiese Variante von Blogspam zu sein…
Ja, der Trick, legitime Kommentare einfach zu kopieren, ist gut und maschinell nicht zu erkennen. Allerdings landet PBs Weblink so bei Akismet auf der Blacklist und mittelfristig schiessen sich die Kerle so selber in den Fuss, bzw. sie schaden den „beworbenen“ Webseiten.
Ich bin total gespannt auf den neuen Film „Inglourious Basterds“.
Mir ist egal, was andere sagen. Ich finde nachwievor, das Quentin Tarantino einer
der größten ist.
Ich lese hier zum ersten Mal etwas von moralischen Bedenken. Denn nach dem Sehen des Films, was ich eben erst hinter mich gebracht habe, hatte auch ich ein mulmiges Gefühl im Bauch, so sehr ich Tarantino als Filmemacher auch schätze. Die bemerkte Vermischung von naiver „Metzelkunst“ und moralischen Tandenzen (sehr guter Punkt im Artikel) halte ich bei der Ernsthaftigkeit des Themas für notwendig. Ob sie nun ge- oder missglückt ist, kann ich mir aufgrund meiner vorbehaltsvollen Einstellung gegenüber Tarantino noch nicht beantworten.
Erstmal ne kleine Spoilerwarnung:
Naja tarantino zeigt durchaus, dass es vielleicht nicht alle nazis verdient haben zu tode gefolter zu werden und die Methoden der Basterds nicht über jeden moralischen zweifel erhaben sind. Gerade die szene in der Baar mit dem Mexikanischen Patt und dem frisch gebackenen Vater zeigt doch sehr drastisch, dass nicht alle Nazis das personifizierte böse sind. Dass er nicht überlebt liegt einfach an der natur der sache, es hiess eine szene vorher ja noch das wenn was schief geht keiner Lebend den Keller verlassen dürfe. Dazu kommt noch, dass die Basterds wirklich das sind was ihr name Sagt „Mistkerle“ und gerade Brad Pitts übertriebener Yankee Slang ist zwar für ein paar lacher gut, aber macht ihn nicht wirklich sympatisch. Klar sie töten zwar Hitler, aber letzen endes sind sie dass was viele von Quentins „Helden“ sind, genau so bösartig wie das übel das sie bekämpfen und das wird während des filmes immer wieder klar.