Fünfzehn Anfänge: apartment666.com

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Das Spiel mit den Möglichkeiten des interaktiven Films findet immer wieder neue Variationen im Web. Manche sind durchgängig innovativ, wie zum Beispiel diese Flash-Dokufiktion für Kinder der Schweizer Zauberlaterne. Aber meist sind die Wahlmöglichkeiten der Zuschauer ziemlich eingeschränkt. Wer wirklich steuern will, weicht ohnehin eher auf Konsolen-Games aus. Der Rest von uns passiv-agressiv geprägten Kinosüchtigen klickt sich in lauen Momenten durch das Angebot auf YouTube und amüsiert sich da mit Katzenfilmchen. Zappen ist keine Grundhaltung, sondern stimmungsabhängig. Und das hat sich das Schauspiel Frankfurt zu Nutze gemacht, mit einem Zap-Angebot, das es in sich hat:

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Auf apartment666.com haben die Theaterleute fünfzehn Kurzfilme eingestellt, die über eine simple Flash-Seite angesteuert werden können. Die Ästhetik der Seite orientiert sich dabei am Minimalismus des Filmsets. Gedreht wurde in und um ein weitgehend leeres Apartment mit viel Weissraum, was immer wieder Gelegenheit gibt, den Raum ganz aufzulösen, mit Gegenlicht und Endloshorizont, im Studentenstil von George Lucas‘ legendärem THX 1138. Das Konzept hat allerdings was für sich, denn es geht bei den Inszenierungen um Anfänge:

www.apartment666.com ist eine Variation über den Beginn von Geschichten. 15 Figuren werden das Apartment betreten, um einen neuen Anfang zu machen, um ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen. 15 Mal die ersten Minuten eines Films, in denen wir entscheiden, ob wir den Film und die Protagonisten mögen oder nicht. 15 Mal die erste Einstellung und trotzdem immer schon der komplette Film. Jeder hat ein Geheimnis, jeder möchte wohin. Doch was, wenn keiner das apartment666 wieder verlassen kann? Mehr und mehr verdichtet sich das Archiv der Anfänge, um dann, wenn wir schon lange weg sind, noch immer durch den virtuellen Raum zu irren.

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Die fünfzehn Kurzfilme der ersten Staffel (ob es eine weitere geben wird, scheint noch offen), tragen alle verwandte Titel: Anfang von was Grossem, Anfang der Arbeit, Anfang eines Tages, Anfang des Wahnsinns oder gar Ende vom Anfang. Wie bei filmischen Expositionen üblich, werden Figuren eingeführt, die man als Zuschauer aufgrund der Situierung und der Dialoge möglichst schnell kennen lernen möchte – oder auch nicht, je nach Szene. Einzelne Figuren tauchen in verschiedenen Episoden auf, und weil es sich immer wieder um neue Anfänge handelt, spinnt sich mit jeder Episode im Kopf eine neue mögliche Geschichte in die nächste hinein. Wenn ein Mann das Apartment offensichtlich möglichst schnell verkaufen möchte, und daher einen Handwerker mit der Beseitigung allfälliger Gebrauchsspuren beauftragt, überrascht uns dieser mit philosophischen Gedanken darüber, dass man nichts jemals wirklich wieder loswerden könne. Bloss, um sich kurz darauf ganz alleine im Apartment zu finden. Und auf ein eigenartiges Loch in der Wand zu stossen.

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Die einzelnen Filme wirken unterschiedlich stark, manchmal merkt man deutlich, dass es sich um Bühnenschauspieler handelt, welche es gewohnt sind, mit Dialogen zu arbeiten. Dann wieder sind die gesprochenen Sätze zu papierphilosophisch, um mit der suggestiven Licht- und Raumgestaltung der filmischen Inszenierung mithalten zu können. Aber meistens funktioniert der Trick und man ertappt sich dabei, wie man die angefangenen Geschichten im Kopf weiter spinnt.

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Veröffentlicht wurden die Episoden über einen Zeitraum von zwei Monaten mit einem Blogsystem als einzelne Posts, nun sind sie alle entweder über das Haupt-FlashInterface ansteuerbar, oder direkt zum Download für den ipod erhältlich. Ausserdem hat das Blogsystem den Vorteil, dass jede Episode direkt kommentiert werden könnte. Allerdings scheint die geneigte Öffentlichkeit das Angebot noch nicht so richtig wahrgenommen zu haben. Die Macher geben sich alle Mühe, ihr Werk breiter bekannt zu machen, die Filme sind nun auch via YouTube zu finden (auf dass sich der eine oder andere Katzenfilmzapper ins Apartment666 verirren möge – und nie wieder raus findet).

Der Versuch, die theatralischen Mittel mit den neuen Möglichkeiten des Webs zu verknüpfen, leidet noch darunter, dass die vom Theater gewohnte direkte Beziehung von Publikum und Spielern sich nicht einfach so reproduzieren lässt. Andere Theatergruppen sind da schon etwas weiter, etwa die Schweizer von 400asa, welche längst multimedial auf allen Kanälen arbeiten. Aber die Verbindung von Film-, Theater- und Webschaffenden führt offensichtlich immer wieder zu neuen Experimenten. Apartment 666 ist einen ausführlichen Zap-Abend wert. Und wer nicht vor dem PC hocken möchte, saugt sich die 15 Filme eben auf den iPod und guckt sie in der Kneipe mit Freunden an.

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«You can check in any time you like, but you can never leave.» (Eagles, Hotel California)

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