Locarno 09: ‚Shirley Adams‘ von Oliver Hermanus

Denise Newman Shirley Adams

Oliver Hermanus ist 25 Jahre alt, Südafrikaner, und offensichtlich sehr entschlossen. Einen dermassen strengen Erstlingsfilm habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Hermanus erzählt die tragische Geschichte seiner Titelfigur Shirley Adams in der Form eines Portraits. Die von Denise Newman gespielte Titelfigur ist eine Mutter, die alles verliert, was sie sich in ihrem Leben einem der ärmeren Viertel von Kapstadt erarbeitet und erlitten hat. Ihr Sohn Donovan wurde auf dem Schulweg von Gang-Mitgliedern angeschossen und ist seither Tetraplegiker, sein Vater ist davongelaufen, und Shirley hat nicht nur ihre Stelle bei einem Arzt aufgegeben, um ihren Sohn zu pflegen, sondern auch ihre letzte Ersparnisse.

Der Film beschränkt sich auf wenige Figuren und bleibt dicht an ihnen dran. Da kommt noch die junge Tamsin dazu, die sich im Zuge ihrer Ausbildung um den „interessanten Fall“ Donovan helfend kümmern soll, und eine ganze Weile braucht, um zu verstehen, was das eigentlich bedeuten müsste.

Hermanus dürfte ein Bewunderer der Dardenne-Brüder sein, und wie mancher Bewunderer treibt er die Methoden der Vorbilder auf die Spitze. Seine Kamera folgt den Figuren und insbesondere Shirley hartnäckig knapp hinter der rechten Schulter. Der Kamerablick ist der eines aufdringlichen Beobachters, der so dicht dran ist, dass er nicht immer alles sehen kann. Das ist irritierend und eindrücklich in Szenen wie am Anfang, in der Shirley ihren Sohn auf dem Bett findet, nach einem Selbstmordversuch des Gelähmten. Man bekommt keine Details mit, bloss die Angst und den Schrecken der Mutter, deren Schultern und Arme immer wieder den Blick auf das Gesicht des jungen Mannes mit dem Schaum vor dem Mund verdecken. Die Kameraführung hat aber auch ihre Tücken, vor allem gegen Schluss des Films, wenn Shirley ein verzweifeltes Bad nimmt, in der Wanne, in der sich Donovan schliesslich ertränkt hat. Da guckt die Kamera leicht verschämt wie ein Hund um den Türrahmen des Badezimmers, nimmt allen Mut zusammen, und geht dann doch noch näher. Ob der Effekt von Hermanus so beabsichtigt ist oder nicht: Er wirft einen als Zuschauer auf die Zuschauerposition zurück und wirkt wie eine bewusste Ohnmachtsdemonstration des Filmemachers.

Als Wettbewerbsauftakt des 62. Filmfestivals von Locarno ist Shirley Adams durchaus ein beeindruckend konsequentes Erstlingswerk, ein Film, der viel will, viel erreicht, noch nicht aber die Sicherheit und Eleganz seiner Vorbilder.

Pardofell

Kommentar verfassen