Es sind die abstrakten Arbeitswelten, mit denen sich die Künstler in aller Regel am wenigsten gerne auseinandersetzen. Filme über Handwerker und Arbeiter gibt es jede Menge, aber mit dem, was die Tage des grossen westlichen Mittelstandes ausfüllt, weiss mit Ausnahme von Harun Farocki kaum jemand etwas anzufangen. Warum nicht? Eine Antwort wäre: Weil da nichts passiert, weil da nur geredet wird, besprochen, geplant. Stefan Landorf ist damit nicht einverstanden. Der ehemalige Arzt, der, wie er selber sagt, seinem Fachgebiet und dessen Fachsprache nur knapp entronnen ist, isoliert mit Besprechung das menschliche Ritual, das institutionalisierte Drama der gewöhnlichen „Sitzung“. Er hat Sitzungen gefilmt, in grossen und kleinen Firmen, bei der Bundeswehr, der Kinderhilfe, in einem selbstverwalteten Internat, bei einer Bank. Von diesen Sitzungen zeigt er grosse Ausschnitte, einzelne Phrasen hat er herausgelöst und lässt sie von den Protagonisten isoliert noch einmal einsprechen. Und er lässt die gleichen Phrasen von jungen Schauspielern nachsprechen, während diese farbige Trennwände durch einen Raum schieben. So bekommen diese Formulierungen, Sprachhülsen, Wendungen plötzlich eine Gravitas, ein mitunter komisches, oft aber auch ein trauriges Gewicht.
Nicht nur der Spielfilm, auch der klassische Dokumentarfilm legt ja in der Regel Wert darauf, die Konsequenzen des Handelns seiner Protagonisten aufzuzeigen. Auch dem verweigert sich Besprechung konsequent, denn, obwohl man sich als Zuschauer bei etlichen Besprechungen vorstellen kann, dass sie bestimmte Aktionen auslösen, hält sich das Interesse daran nicht wirklich. Was interessiert, ist die Interaktion der Menschen in den Besprechungen, die Hierarchie, die Ritualisierung, aber auch die Angst, die Macht- und Kommandostruktur. Die erschreckendste Erkenntnis ist letztlich die, dass die meisten Teilnehmer der meisten Besprechungen nicht nur um Sachfragen herumreden, sondern vor allem ihre Selbstdarstellung verfechten. Hier werden Sprachhülsen zu Schutzschildern, Formulierungen wie „ich bin zuversichtlich, dass …“ zu potemkinschen Dörfern.
Landorf entlarvt allerdings keine Individuen, dazu fokussiert er viel zu konsequent auf die Mechanismen und die Formulierungen. Gerade wenn einzelne der Protagonisten einzelne Wendungen isoliert wiederholen, oft mit souveräner Selbstverständlichkeit, wird klar, dass sie ihre Rituale eben auch beherrschen. Wie etwa der Bundeswehr-Oberst, der seine Sitzungsabschlussfrage: „Noch Nachbrenner…?“ auch in seinem eigenen Büro mit Blick in die diesmal nicht vorhandene Runde wiederholt.
Wenn Landorf nachher im Gespräch darauf hinweist, dass diese Souveränität natürlich nicht von ungefähr kommt, dass es vor allem die mediengewohnten oberen Chargen der Betriebe sind, welche das Spiel des Wiederholens mitgespielt hätten, während sich die Unterstellteren schwer taten damit, dann ist das für einmal zwar eine interessante Zusatzinformation, aber keine, die der Film gebraucht hätte. Auch das ist ein Qualitätsmerkmal, denn normalerweise ist es durchaus angebracht, einem Dokumentarfilmemacher nicht dafür zu vergeben, wenn er wesentliche Informationen unterschlägt.
Wenn zum Schluss von Besprechung die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler am grossen Tisch „ihre“ Phrasen kombiniert zum Besten geben, in einer abstrakten, sinnfreien, aber durchaus real klingenden Sitzung, dann ist das zugleich ein befreiender Abschluss für ein beklemmendes Experiment und die finale Entlarvung der Phrasendrescherei.
Und noch eine interessante, nicht unbedingt notwendige Zusatzinformation: Angefragt hat Landorf ausser den Kirchen so gut wie jede Institution und Behörde neben der Industrie und der Armee. Am heftigsten gemauert hätten ausgerechnet die Politik, also die Bundesverwaltung, und die Medienbetriebe. Also genau jene Institutionen, bei denen Schein und Sein zum täglichen Handwerk gehört.
Der Film ist war übrigens heute Donnerstag, 5. November 2009, um 22.25 Uhr auf 3Sat als Erstausstrahlung zu sehen. Mehr Informationen zur Terminen und Verfügbarkeit gibt es hier auf der Seite des Produzenten.