Ganze 949 Leute haben sich Im Sog der Nacht im Kino ansehen mögen, als der Film letzten Oktober in der Deutschschweiz heraus kam (Quelle: ProCinema). Jetzt ist die DVD da, und das massive Desinteresse des Publikums wirkt im Rückblick doch etwas rätselhaft. Mit Stipe Erceg, Lena Dörrie und dem Schweizer Schon-nicht-mehr-Nachwuchsstar Nils Althaus hat der kleine Film drei frische, spannende Gesichter zu bieten, die Story ist dicht, konsequent und eindringlich, und die dramaturgische Umsetzung des Stoffes durch den Schweizer (Werbe-) Filmer Markus Welter hat Tempo und Rhythmus. Natürlich ist die Konstellation – zwei Männer, eine Frau, ein Bankraub – nicht die originellste. Aber wenn ausschliesslich Originalität Publikumsaufmarsch garantieren könnte, wären die die ersten zehn Plätze jeder Box-Office-Tabelle leer.
Tatsächlich reduziert Im Sog der Nacht seinen Plot zur Minimalmaschine, und das ziemlich gekonnt. Der Film beginnt mit dem Suizidversuch des von Nils Althaus gespielten Roger. In zittriger Verzweiflung schiesst er sich in seiner versifften Wohnung allerdings nur das halbe Ohr weg (was ihm später noch die beiläufige Anrede „van Gogh“ einbringt).
Das Paar in der Wohnung über ihm wird von seinem Schuss beim Sex gestört und eilt zu Hilfe… und schon bald sind Jules et Jim mit der abenteuerlustigen Lisa auf dem Bonnie & Clyde-Trip. Dabei verbiegen weder Drehbuch noch Regie die Figuren ungebührlich, und die schweizerischen Realitäten vom Tanzschuppen über die lokale Bankfiliale bis zum Ferienhäuschen in den Bergen bleiben gewahrt. Die Eskalation der Gewalt wird schlüssig ein- und durchgeführt. Und die spiegelbildliche Entwicklung der beiden Männerfiguren vollzieht sich wunderbar schleichend, der Anführer wird zum Verzweiflungstäter, der Mitläufer findet zur Verantwortung. Dass es dabei auch noch gelingt, die Figur der Lisa nicht nur als Katalysator einzusetzen, sondern als glaubwürdige und überzeugende junge Frau, hat wohl vor allem mit der Ausstrahlung von Lena Dörrie zu tun. Denn wenn Im Sog der Nacht eine Schwäche hat, dann ist es ausgerechnet seine auf klare Entwicklungslinien ausgelegte Dramaturgie. Die filmische Umsetzung eines Krimis läuft eine Spur zu geradlinieg ab. Nicht nur die Figurenkonstellation und die Präsenz von Stipe Erceg erinnern an Die fetten Jahre sind vorbei, sondern auch die Hüttenkoller- und Roadmovieelemente. Die hübschen Hirsch-Visionen von Roger geben dem Drama zwar einen mythischen Unterton, reichen aber nicht aus, um Unsicherheit und damit zusätzliche Spannung ins Getriebe zu bringen.
Andererseits ist die deutsch-schweizerische Koproduktion einnehmend konsequent in die dramaturgische Logik integriert worden. Die Schauspieler reden ihr angestammtes Idiom (in der Schweizer Fassung), die Fluchtbewegung über die Grenze funktioniert, und die Naivität der Junggangster, die ohne viel Nachzudenken eine Präsidentensuite im Hotel bar vorausbezahlen, macht einen dann doch noch vorübergehend kribbelig.
Das Zusatzmaterial der DVD umfasst unter anderem 18 Minuten unkommentiertes Dok-Material zu verschiedenen Drehsequenzen und rund zehn Minuten Interview-Antworten von Nils Althaus auf (weggeschnittene) Fragen, etwas unglücklich in Aufsicht gefilmt, bzw. sitzend an einen unsichtbaren Fragesteller neben der fix montierten Kamera gerichtet.
DVD. Regie Markus Welter: Im Sog der Nacht. 86 Minuten. Originaltonspuren D/D-CH und nur D, Untertitel: D, E. Trailer CH, Trailer D, Interview Nils Althaus, Making of. Diaschau. Altersempfehlung 14+. Praesens.
mir ist der Film leider auch unter dem Radar durch, habe ihn gestern auf DVD gesehen und bin positiv überrascht. Das Roadmovie entwickelt mit seinen psychologischen Spannungsmomenten und der suggestiven Bildsprache einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Und vor allem ist das endlich mal eine Schweizer Produktion, die aus der hiesigen Betulichkeit ausbricht, mit urbanen Figuren und verwaschener Ästhetik. Dieser Film verdient eine Nominierung für den Schweizer Filmpreis!
ganz großes Kino – super!