Berlinale Telegramm 06: Die waagrechte Leinwand

'Kings of Pastry' Jacquy Pfeiffer und Sebastien Canonne
'Kings of Pastry' Jacquy Pfeiffer und Sebastien Canonne

Der weiss gedeckte Esstisch sei eigentlich die in die Waagrechte gekippte Leinwand, auf der – wie im Kino – ein sinnliches Erlebnis inszeniert werde. So verblüffend einfach und doch einleuchtend erklärte mir heute der Kurator der Reihe Kulinarisches Kino, Thomas Struck, den Zusammenhang zwischen Kino und Essen. Seit einigen Jahren findet an der Berlinale diese Sonderreihe statt, ein Lieblingsprojekt des Berlinalechefs und Slow Food-Mitglieds Dieter Kosslick. Es war heute ein recht ungewohnter Ort für ein Interview an einem Filmfestival. Ich hatte mich mit dem Kurator der Reihe, Thomas Struck, und dem kulinarischen Leiter, Alf Wagenzink verabredet. Unser Treffen fand in der Küche vom Spiegelzelt statt, dem Ort, an dem die Gäste des kulinarischen Kinos anschliessend an die Filme der Reihe von bekannten Sterneköchen bekocht werden. Um uns herum wurde vorbereitet, gekocht, Geschirr klapperte – und die beiden Verantwortlichen der Reihe gerieten richtig ins Schwärmen über ihr Projekt:

Die Köche des 4. Kulinarischen Kinos: Thomas Kammeier, Michael Kempf, Lea Linster, Christian Lohse und Tim Raue © Ali Ghandtschi
Die Köche des 4. Kulinarischen Kinos: Thomas Kammeier, Michael Kempf, Lea Linster, Christian Lohse und Tim Raue © Ali Ghandtschi

Seit zwei Jahren sei Slow Food International mit im Boot, selbst Carlo Petrini, der Übervater der ganzen Bewegung, sei schon zu Besuch gewesen. „In the Food for Love“ heisst die diesjährige Reihe der Filme, zu denen anschliessend ein Menu kredenzt wird. Da werden aber nicht nur Liebesfilme gezeigt wie Io sono l’amore mit Tilda Swinton (die letztes Jahr Jurypräsidentin war und jetzt also als kulinarischer Gast anwesend war). The Botany of Desire etwa beschäftigt sich mit der Fortpflanzung der Pflanzenwelt, vor allem aber auch mit der Beziehung zwischen Mensch und Natur. Was tut die Natur, um die Menschen zu verführen?

Edoardo Gabbriellini, Tilda Swinton in 'Io sono l'amore' von Luca Guadagnino
Edoardo Gabbriellini, Tilda Swinton in 'Io sono l'amore' von Luca Guadagnino

Wer den Eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale, Tuan Yuan von Wang Quan’an gesehen hat, der weiss um die kulinarischen Verführungskünste des Kinos. Die Starköche, die der kulinarische Leiter Alf Wagenzink (im normalen Leben Küchendirektor im Hotel Interkontinental) zusammengetrommelt hat, liessen sich jeweils von den Filmen inspirieren, um dann ein Menu aus regionalen und saisonalen Produkten zu kreieren, das den visuellen Kinogenuss noch um den geschmacklichen erweitert. Und dabei müsse im Kino noch nicht einmal exzessiv viel gekocht und gegessen werden, um Appetit zu wecken, wie Thomas Struck ausführte: es sei mit dem Essen im Kino wie mit dem Sex – die Erotik entstehe viel mehr beim zarten Andeuten als bei zu offensichtlichen Darstellungen. Helden im Hollywood-Kino dagegen essen oft gar nicht, weil sie zu beschäftig seien, die Welt zu retten. Und diese totale Abwesenheit des Essens – so die These Thomas Strucks – löse beim Publikum einen Drang nach Nahrungsaufnahme während des Filmgenusses aus und man müsse Popkorn und derlei Dinge essen. Mit Erotik und Sinnlichkeit hätte das dann aber gar nichts mehr zu tun. Kino und Essen ja, aber bitte hintereinander und beides mit Genuss.

Zu schade, dass ich die Einladung zur abendlichen Vorstellung von Iranian Cookbook mit anschliessendem iranischen Menu von Thomas Kammeier nicht annehmen konnte – es hatte während des Interviews in der Küche nicht nur geklappert, sondern auch wunderbar gerochen. So lecker kann Kino sein.

Spiegelzeltrestaurant 'Gropius Mirror' © Mirjam Siefert
Spiegelzeltrestaurant 'Gropius Mirror' ©Mirjam Siefert

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