Nyon 10: INTO ETERNITY von Michael Madsen

Into Eternity: Michael Madsen

Auch ernsthafte Dokumentarfilme können pompös wirken, und Kitsch ist manchmal nötig, um den heiligen Schauer zu erzeugen, der dem Kino zu eigen ist. Wenn der Däne Michael Madsen sich mit Into Eternity dem finnischen Onkalo widmet, dann weht schon in den ersten Bildern ein Hauch von Ewigkeit durch den Saal. Denn Onkalo ist ein Endlager für nuklearen Abfall, ein riesiges Tunnelsystem im Permafels, das 100’000 Jahre dichthalten soll. Das ist eine Zeitspanne, die unser Geschichtsverständnis um ein mehrfaches überdehnt, ein Zeitraum, den niemand ernsthaft berechnen kann. Die grösste Gefahr für so ein Lager geht von unseren Nachfahren aus, darin sind sich die meisten Protagonisten im Film einig. Denn die dürfen nie vergessen, Onkalo zu vergessen, bzw. sie müssen lernen, die Erinnerung daran auszulöschen, und das für alle kommenden Generationen. Ein logischer Treppenwitz wie so vieles, was mit der Endlager-Thematik zu tun hat.

Madsen arbeitet mit Musik und aufgeladenen Bildern, mit Genremomenten und mit Talking Heads. Zu Beginn des Films tut sich das Tiefenportal zur Grossbaustelle unter Tag auf, die Kamera begibt sich auf den Höllentrip, lässt sich von der Erde verschlucken. In der Dunkelheit taucht Madsen auf, der sich selber mit einem Streichholz illuminiert und direkt unsere Nachfahren in der zukunft anspricht, sie fragt, warum sie in den Ort eingedrungen sind, allen Warnungen zum Trotz. Der Film ist informativ und manipulativ auf einer sehr emotionalen Ebene. Der Hauch von Ewigkeit, die Ahnung von Hybris erzeugt Madsen mit allen Mitteln grandioser Inszenierung, mit opernhaftem Getöse, wallenden Staubwänden, hartem Chiaroscuro und dann plötzlich wieder mit ganz einfachen, magischen Bildern. Wenn er etwa thematisiert, dass dieser strahlende Abfall nicht einfach weg geht, und dabei eine Elchkuh im verschneiten Wald zeigt, die sich hinter einen Baum stellt und plötzlich nicht mehr zu sehen ist, weil sie im Schlagschatten des Stammes verschwindet. Oder wenn Madsen später die gleiche Elchkuh zeigt, die seelenruhig und unbewegt ihren Mist in den Schnee fallen lässt und dann ganz langsam davon stakst – das sind die stärksten Momente des Films, auch wenn die grossartigen Bilder sonst viel aufwändiger inszeniert und ausgeleuchtet sind. Dass Peer Gynt und die Berghalle nicht weit sind, selbst dann nicht, wenn Kraftwerk singen, ist natürlich dem Film nicht anzukreiden. Dass Madsen es mit diesem sehr wirkungsvollen Werk in die Doc Alliance Selection 2010 geschafft hat, ist auch nicht überraschend. Und schliesslich nehme ich mich selber bei der Nase: Warum dieses leise Unbehagen, wenn ein Dokumentarfilm auf Wirkung setzt, auf optische und akkustische Überwältigung? Schliesslich ist er argumentativ und methodisch sauber, was also stört mich am Pomp?

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