Nyon 10: BEYOND THIS PLACE von Kaleo La Belle

'Beyond this place' von Kaleo La Belle

Die Zeit für die Aufarbeitung der Gurus ist definitiv gekommen. Der junge, in der Schweiz lebende Amerikaner Kaleo La Belle hat mit Beyond this Place gestern Abend eben den dritten Film zum Thema an diesem Festival geliefert – und den berührendsten. La Belle hat seine frühe Kindheit als Sohn eines amerikanischen Proto-Hippie-Paares auf Maui erlebt. Bald aber ist sein Vater zu dessen sterbender Mutter in die USA zurückgekehrt, und schliesslich ist auch La Belles Mutter mit dem Sohn zu ihren Eltern zurück gereist – ausgerechnet ins kalte Detroit. Siebzehn Jahre nach seiner letzten Begegnung mit dem Vater versucht der Sohn nun eine Annäherung an ihn, diesen „Hippie-General ohne Truppe“, diesen Extremindividualisten, der dem Sohn auf den Vorwurf, er hätte seine Verantwortung als Vater nicht wahrgenommen, grinsend erklärt, jedes Kind suche sich seiner Eltern selber aus, das sei Karma. Der Vater, der seit seiner Erleuchtung nicht mehr Gordon La Belle heisst, sondern Cloud Rock, liebt vor allem drei Dinge: Sich selber, seine Drogen und das Fahrradfahren. Und da versucht der Sohn einzuhängen, er schlägt einen ausführlichen Fahrradtrip zum Spirit Lake und dem Mount Saint Helen vor – und der Vater steigt darauf ein.

Was folgt, ist die absolut faszinierende, berührende und dabei auch ausführlich enervierende Auseinandersetzung des jungen Filmemachers mit dem Mann, den er als Kind idolisiert hat, als Teenager verflucht, und als junger Vater schliesslich zögernd gesucht. Vierzig Jahre hat Cloud Rock in einem permanenten Drogenhigh gelebt und er ist stolz darauf. Beim Velofahren mampft er Schokolade, die er mit Psychopilzen gestreckt hat, in den Pausen raucht er sein Marihuana, zum Frühstück wirft er Batterien von Pillen ein, und andauernd verkündet er wie ein Mantra sein Recht auf uneingeschränkte Freiheit. Dass sich die beiden schliesslich doch irgendwie finden, ist nicht das Wunder dieses Films, sondern das Resultat der filmischen Arbeit des Sohnes. Denn dieser nimmt sein Publikum nicht auf einen grossen Versöhnungstrip mit, sondern auf eine exemplarische Reise in die Welt dieser Elterngeneration. Es ist die gleiche Reise, die wir hier in Nyon mit Guru – Bhagwan, his Secretary, his Bodyguard unternommen haben, und mit David Sievekings David Wants to Fly. Es geht um den Traum von einer neuen Welt, den in den sechziger und siebzieger Jahren viele junge Eltern geträumt haben, und um den Widerspruch zwischen Verantwortung und Freiheit, der sich für ihre Kinder zum zentralen Problem entwickelt hat. Es geht auch um das sture Festhalten an der Utopie, selbst auf Kosten der Freiheit der Kinder, oder der Anhänger, wie es exemplarisch auch Die Kinder vom Friedrichshof rund um die Otto-Mühl-Kommune aufzeigt.

La Belles Beyond this Place ist aber auch deswegen ein faszinierender Film, weil der Sohn neben dem menschlichen und psychologischen Rüstzeug für die Auseinandersetzung mit dem Vater sein eigenes professionelles Können als Filmemacher ins Feld führt. Indem er die riskante Begegnung mit den Mitteln angeht, die er sich an der Schweizer Filmschule angeeignet hat, tritt er dem Vater nicht nur als anklagender Sohn entgegegen, sondern gleichzeitig als Profi, als Künstler, als Ausübender der eigenen Bestimmung. Und das ist offensichtlich etwas, was den Vater nicht nur beeindruckt, sondern regelrecht einnimmt. Der Film wird, unter anderem, weil er weit über die Vater-Sohn-Begegnung hinaus noch viele andere Aspekte und Protagonisten aufbietet, zu einer Auseinandersetzung der unfreien Kinder mit ihren überfreien Eltern.

'Beyond this Place' Cloud Rock

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